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  • teutolith

mehr als 1000 Beiträge seit 25.03.2014

Paradoxe Behauptungen der Prorussen

Johnson konnte keine Verhandlungen abbrechen, an denen er überhaupt nicht beteiligt war. Hier wird immer wieder behauptet, Johnson (bzw "der Westen") habe es zu verantworten, daß es Anfang April '22 nicht zum Abschluß eines angeblich schon so gut wie ausverhandelten Friedensvertrages kam. Nun, wenn dieser Friedensvertrag Garantiemächte vorsah, muß man diese Mächte dann nicht zumindest mal fragen, ob sie denn bereit sind, im Ernstfall anstelle der Ukrainer gegen die Russen zu kämpfen?

Rußland kann nicht mit der Ukraine darüber verhandeln, wer die beschützt, damit sie der russischen Forderung nachkommen kann, sowohl neutral zu bleiben, als auch entmilitarisiert zu werden (was in sich schon eine dummdreiste Anmaßung ist). Das ist keine Formalie, die russische und ukrainische Unterhändler am grünen Tisch für die Garantiemächte mitverhandeln können, das ist eine Entscheidung über Krieg oder Frieden in Europa, womöglich der ganzen Welt. Vertraut man als Garantiemacht Putin so weit, daß man die Garantie dafür übernehmen kann und will, einen dauerhaften Frieden in der Ukraine mit allen nötigen Mitteln zu erhalten? Die Antwort hat Johnson gegeben: Der Westen traut Putin nicht über den Weg.

Das ist das eigentliche Paradox: Der "kriegsgeile" Westen war nicht bereit, seine Hand ins Feuer zu legen und im Zweifel für die Ukrainer zu den Waffen zu greifen. Das hat einen frühen Frieden verhindert. Und Putin hätte es überhaupt nicht akzeptieren können, wenn es anders gewesen wäre: Die bestmöglichen Garantiemächte für die Ukraine wären doch die Mitglieder der NATO gewesen. Das soll laut Prorussen aber ausgerechnet der eigentliche Kriegsgrund sein, der fiese Plan, mit dem der Westen Putin quasi gezwungen hat, anzugreifen - wie paßt all das in ein und demselben prorussischen Gehirn zusammen!?

Meine Vermutung ist, daß die Prorussen sich "Garantien auf dem Papier" vorstellten, gegeben von einzelnen Staaten, die im Zweifel sofort die Ukraine aufgegeben hätten. Selbst wenn nicht die NATO als solche, sondern einzelne NATO-Staaten als Garantiemächte aufgetreten wären, Polen hätte zB nahegelegen, hätte im Fall von Spannungen sofort Artikel 5 im Raum gestanden. Wie kommt irgendein Prorusse auf die Idee, daß Putin das unterschrieben hätte, wo ihm ein nicht einmal ansatzweise bevorstehender NATO-Beitritt der Ukraine doch als Grund für seinen genozidalen Eroberungskrieg genügte?

Es gab im übrigen keinen Plan, die Ukraine in die NATO aufzunehmen. In der ukrainischen Verfassung stand bis 2019 die Neutralität, irgendwelche Äußerungen von 2008 oder sonstwann davor können also nur Fantastereien oder aus dem Kontext gerissene Einzelmeinungen sein. Die Bevölkerung der Ukraine war lange in ihrer Mehrheit für die Neutralität, das hat sich erst ab 2014, nach dem Einmarsch der Russen in die Ostukraine und der Annexion der Krim allmählich zu ändern begonnen. Daß die Ukrainer inzwischen in die NATO wollen, hat Putin ganz allein sich selbst zuzuschreiben. Und wie der Autor schreibt, ist dieser Beitritt durch Putins sinnlosen Krieg ein ganzes Stück nähergerückt.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (24.11.2023 09:20).

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