Als ehemaliger Sozialdemokrat weiß ich aus eigener Erfahrung, wie sehr und mit welchen Methoden sich die Parteirechte auf der ganzen Linie durchgesetzt hat und wie sehr dieser innerparteiliche Siegeszug mit dem öffentlichen Niedergang der Partei einhergeht. D.h. die Parteirechte war dazu in der Lage, ihre politischen Vorstellungen ohne nennenswerte innerparteiliche Kompromisse zu realisieren. Ich selbst bin 1991 ausgetreten, nachdem der (rechts dominierte) Parteiapparat die Wahlkampagne des damaligen Kandidaten Lafontaine zur Wahl 1990 (nach meiner Wahrnehmung) sabotiert hatte. Warum? Weil der Parteiapparat in der Frage BRD/DDR Kohl näher stand als ihrem offiziellen Kandidaten. Lafontaine hat wohl erst 1999 die Auseinandersetzung um die Parteilinie aufgegeben und hat sich zurückgezogen; was ihm viele Weggefährten (Genossen mag ich nicht schreiben) übelnahmen.
Die Parteirechte hat danach ihr Programm weitgehend realisiert und das unterschied sich allenfalls in den Begründungsphrasen von dem der CDU. Im Kern steht der Neoliberalismus. Und das ist das Problem dieser Politik. Man kann vielleicht mit ein paar markigen Phrasen Arbeiter gegen Arbeitslose aufhetzen, um die Agenda 2010 durchzusetzen. Aber die Folgen dieser Agenda für die Machtverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt und in den Betrieben zulasten aller abhängig Beschäftigten haben auch die BLÖD-Leser und Schröder-Fans unter ihnen zu spüren bekommen. Und mit der um sich greifenden, wenigstens vorübergehenden Arbeitslosigkeit vieler abhängig Beschäftigter, die aber allesamt auf die Renten durchschlagen, haben auch sie zu spüren bekommen, was es heisst, gesellschaftlich stigmatisiert zu sein und auch sie wurden durch die Mühlen der Jobcenter gedreht.
Für mich ist es bezeichnend, dass jede kleine Andeutung, die SPD werde sich wieder auf ihre sozialdemokratischen Wurzeln besinnen, zu einem deutlichen Anstieg bei den Umfragen führt. Dass auf die Ankündigung auch Taten folgen, habe ich selbst nie erwartet, aber viele andere ehemalige Wähler offenbar durchaus. Und wieder sind's ein paar Prozente weniger.
Vielleicht überlebt die Partei sogar auf mittlere Sicht. Als Partei des öffentlichen Dienstes z.B. mit einem Stimmenanteil von zehn, zwölf Prozent. Vielleicht reicht das aus, um einer Schicht von Parteifunktionären davon zu überzeugen, dass sie mit diesem Stimmenpotential zu Ämtern und Pfründen zu kommen. So wie eine Firma, die ehemals 1.000 Beschäftigte hatte und nach dem Konkurs mit 100 weitermachen kann.
Vielleicht überlebt sie aber auch nicht. Wer's nicht glaubt, sollte mal in seinem Bekanntenkreis herumfragen, wer seine Interessen bei der SPD am besten aufgehoben sieht.