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Re: Erklär mal, wo du ein "Lamentieren" siehst

_festus_ schrieb am 23.02.2021 10:24:

Eine "Lösung" - im Sinne einer bewussten und gewollten Änderung der Verhältnisse sehe sehe ich aktuell nicht

Na ja.
Ich glaube, das mit dem Lamentieren ist dann eher dein Ding als meines.

- die wird aus einer ganz anderen Ecke kommen.

Sei es durch Revolution und Schafott - oder das Klima fliegt uns um die Ohren mit nachfolgender Deindustrialisierung,

Ach, das sind Untergangsfantasien.
90% davon werden nicht wahr, und du kannst nicht wissen, ob deine wahr werden oder nicht.

wodurch die wieder in kleineren Gruppen lebenden Menschen in engerer Verantwortung füreinander stehen - oder etwas ganz Anderes ...

Ich würde bei einem Zivilisationszusammenbruch "was ganz Anderes" erwarten, nämlich Unerfreuliches.
Kann man super am Horn von Afrika sehen, wo die Gesellschaft zeitweise in Kleingruppen zerfallen ist - das waren dann Warlords, die sich die jeweiligen lokalen Ressourcen unter den Nagel gerissen haben.
Und das ist natürlich keine Eigenart der dortigen Kulturen. Wir müssen hier in Westeuropa nur 500 Jahre zurückgehen und haben dort genauso Feudalherren, die sich gegenseitig bekriegen und die Zivilisten in einer Weise auspressen, dass selbst ein Schwede das nicht mehr für normal halten würde.

Nur bei Einem bin ich sicher - es ist viel stärker eine Frage der Skalen, der Populationsgrössen, wie Menschen mit einander umgehen - als irgendwelche Ideologien.

Menschen sind Menschen.
Manche gütig, manche fies, manche dumm, manche schlau, manche altruistisch, manche egoistisch, manche psychopathisch.
Wenn die Gruppen klein werden, kriegst du aber Anführer-Gefolgschaft-Strukturen. Das funktioniert in abgeschiedenen Dörfern (wo nichts abgesprochen ist, aber in der Wahl ist es pro Dorf fast immer eine einzige Partei, die alle Stimmen kriegt - weil man in der immer gleichen Mentalität sitzt), das funktioniert in Räuberbanden, das funktioniert in Kleinsiedlungen (Kibbuzim).
Gibt den Menschen Ordnung und einen Platz in ihrer Gesellschaft, und das finden die meisten Menschen auch gut. Aber es richtet sich ganz stark gegen Außenstehende, und wer aus welchen Gründen auch immer nicht mit der Gruppenmentalität klarkommt, wird ausgestoßen. Entweder ausgegrenzt (und bei Gelegenheit auch gern als Sündenbock hergenommen) oder gleich verbannt (was in einer post-Zivilisation dicht beim Todesurteil liegt - Menschen sind allein nicht besonders überlebensfähig, wir genötigen das Rudel, auch wenn man's eher "Sippe" oder "Horde" nennt).

Das einzige Maß für Verantwortung ist "the skin in the game" - nachzulesen in Talebs gleichnamigem Buch.

Ach, solche "Erkenntnis"-Bücher gibt es im Dutzend billiger.
Und in Kleingruppen wird der Anführer nicht danach bestimmt, wer "skin in the game" hat oder nicht, sondern nach anderen Kriterien - Koalitionsfähigkeit, ein Minimum an Hinterfotzigkeit (aber auch nicht zuviel davon).
Die Welt wird von Kleingruppen nicht besser. Nur uneinheitlicher, und die kleinen Gruppen sind gegen Katastrophen schlechter gewappnet - wenn da dein Dorf überschwemmt wird, kommen nicht Freiwillige und Hilfsdienste aus ganz Deutschland und stapeln Sandsäcke auf, und keine Versicherung ersetzt dir den Schaden - nein, deine Gruppe verliert fast alles: Haus, Hof, die meisten Tiere, praktisch alle Vorräte; gerettet wird nur, was man am Leibe trägt, und wie viele von euch den nächsten Winter überleben, ist reine Glückssache, da sterben fast sicher die Alten, die Kranken und die Kleinkinder, die überlebenden Kinder haben wegen Mangelernährung in kritischen Wachstumsphasen einen lebenslangen Dachschaden, und wer schlecht ernährt ist, stirbt auch schneller an der nächstbesten Krankheit - Lungenentzündung ist noch harmlos, Wundstarrkrampf ist richtig widerlich und hat man sich schnell eingefangen.

Nee. Ich mag die Richtung nicht, in die so gerne fantasiert wird.
Als wäre ein Neuanfang egal in welcher Form eine gute Lösung - im Gegenteil, das ist in so vieler Hinsicht so viel schlimmer, da macht sich kaum jemand eine Vorstellung von.
(Ich weiß das, weil meine Großeltern- und Elterngeneration Nachkriegsflüchtlinge waren. Die hatten sogar noch einen funktionierenden Staat außenrum und mussten sich nicht sorgen, von einer Räuberbande überfallen zu werden, trotzdem hatten sie alles, wirklich alles verloren, und meine eigene Generation strampelt sich von diesem Nachteil überhaupt erst wieder frei. Und das war alles harmlos gegen das, was Menschengruppen passiert, die keinen Staat haben, der ihnen wenigstens die übelsten Risiken vom Leib hält...)

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