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  • ratwol22

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Re: Jein.

Zeitkind schrieb am 15.03.2024 03:18:

Das GG sieht eigentlich erst mal gar nicht vor, die Bundeswehr irgendwie und irgendwo einzusetzen, wenn es sich nicht um direkte Verteidigung des Landes handelt. Oder anders ausgedrückt: Die Verfasser des GG wollten das erst gar nicht regeln. Allerdings kam dann mit der NATO (und der UN) die Frage, wie man das nun doch in das GG hineinbasteln könnte und wurde in Art. 24 Abs. 2 GG fündig, was auch immer noch die zentrale Norm für den Auslandseinsatz der Bundeswehr (außerhalb Art. 87a) ist:
"(2) Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern."

Der Art. 24 (alle Absätze) bestanden seit 1949 bis 1992 unverändert im Wortlaut.
Er existierte also bereits vor der Gründung der Bundeswehr (1955), vor dem Beitritt zum NATO-Bündnis (1955) und vor der Aufnahme der BRD in die UNO (1973).
Also ist der erste Absatz Deines Beitrages reiner Nonsens: es mußte nicht herumgebastelt werden: ich habe den Wortlaut des Art. 24 so wie er zwischen 1949 und 1992 gültig war in einer Ausgabe des GG von 1986 vor mir auf den Tisch liegen.

Zeitkind schrieb am 15.03.2024 03:18:

Damit sind aber eben multinationale Systeme wie die UN gemeint, die Bundeswehr wird da nicht mal erwähnt - und schon gar keine Kampfeinsätze, dazu nimmt man "herbeiführen und sichern" zur Hilfe. ...

Mulitnationale Systeme wie die UN, die NATO und die Montan-Union, die 1951 gegründet wurde.
Weder muß die Bundeswehr noch müssen Kampfeinsätze ausdrücklich in Art. 24 erwähnt werden.

Zeitkind schrieb am 15.03.2024 03:18:

...Bilaterale Handlungen sind damit nicht, oder nur unzureichend gedeckt, ...

Richtig.

Zeitkind schrieb am 15.03.2024 03:18:

Eine hilfsweise Legitimierung über Art. 87a Abs. 2 GG und dann über Art. 51 UN-Charta (Intervention auf Einladung) stellt aber dann keine konsensuale Willensbildung in einem internationalen Gremium dar, sondern ist eine politische Entscheidung, die vom GG so also nicht gedeckt ist. ...

Der Begriff "zwischenstaatliche Einrichtung" im Absatz 2 beschränkt sich nicht auf internationale Organisationen. Er umfaßt auch Organisationen, die nicht die Strukturmerkmale einer internationalen Organisation aufweisen, beispielsweise die EU und die NATO.

Zeitkind schrieb am 15.03.2024 03:18:

... Es gibt jedoch durchaus Tendenzen, den Einsatz der Bundeswehr zur "Verteidigung" schon fast beliebiger Ziele zur Praxis zu machen. ...

Diese Tendenzen gibt es.
Mir geht es ausschließlich um die Verteidigung in einem Bündnisfall.

Zeitkind schrieb am 15.03.2024 03:18:

Ohne den UN-Sicherheitsrat gibt es aber eben keine solche multinationale kollektive Sicherheitsstruktur, wodurch selbst eine vom Parlament abgesegnete Einwilligung verfassungsrechtlich dann mindestens fragwürdig ist. ...

Hier ist Dein zweiter Patzer:
Die NATO ist ein "System kollektiver Sicherheit".
Es gilt: "zwischenstaatliche Einrichtung" müssen nicht die Strukturmerkmale internationaler Organisationen aufweisen (siehe oben). Deren Kreis schränkt Art. 24 weder in geographischer noch in inhaltlicher oder funktioneller Hinsicht ausdrücklich ein!

Zeitkind schrieb am 15.03.2024 03:18:

IMHO war bereits der Einsatz in Erbil zwar vielleicht völkerrechtskonformes militärisches Engagement, aber eben nicht von Art. 24 Abs. 2 GG gedeckt. Leider wurde aber diese Koalition der Willigen nicht wirklich vor das Bundesverfassungsgericht getragen, da die Klage der Linken IMHO politisch motiviert verworfen wurde ("Der Antrag ist mangels Antragsbefugnis unzulässig.", siehe https://www.bverfg.de/e/es20190917_2bve000216.html ). Notwendig wäre wohl eine Normenkontrollklage gewesen, wobei nicht mal klar ist, ob eine Zustimmung des Parlament überhaupt eine solche Normenkontrollklage bedingen kann.
Ist btw. nicht nur meine Meinung, siehe z.B. "Völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Grundlagen des Bundeswehreinsatzes im Irak", WD 2 des Bundestag:
"Auch ein bilaterales Abkommen zwischen dem Irak und Deutschland wäre kein kollektives Sicherheitssystem i.S.v. Art. 24 Abs. 2 GG. Kollektiv ist ein Sicherheitssystem nur dann, wenn
mehr als zwei Staaten daran beteiligt sind, die sich gegenseitigen Beistand versprechen."
Siehe z.B. auch Prof. Heiko Sauer:
https://verfassungsblog.de/tuecken-einer-verfassungsgerichtlichen-legalitaetskontrolle-von-auslandseinsaetzen/

So manche Militäroperation, an der die Bundeswehr beteiligt war, dürfte tatsächlich nicht verfassungskonform gewesen sein. Da will ich in erster Linie auf den Angriffskrieg der NATO gegen die Republik Serbien verweisen, die übelste politische Entscheidungsfindung einer Bundesregierung bislang. Die Republik Serbien konnte keine Rechtsmittel einlegen, weil sie damals noch kein Mitglied der UN war.

Auch wenn mein erster Beitrag vor ein paar Tagen darauf schließen läßt: mir geht es nicht um bilaterale Militärbündnisse, sondern um multilaterale.

Zeitkind schrieb am 15.03.2024 03:18:

Und völlig ausblenden muß dann sowieso, daß es – vor allem im englischsprachigen Raum – durchaus einige Stimmen gibt, die den russischen Einmarsch nicht mal völkerrechtlich verurteilen wollen. Vermutlich auch ein Grund, warum man es unterlassen hat, Putin deswegen vor dem Internationalen Gerichtshof anzuklagen. Ein Beispiel wäre Prof. David C. Hendrickson:
https://peacediplomacy.org/2022/05/17/sovereigntys-other-half-how-international-law-bears-on-ukraine/
Folgt man seiner Argumentation – und die ist durchaus gut abgedeckt – fiele für einen Bundeswehreinsatz auch die Legitimation nach Art. 51 UN-Charta weg. Aus einem "völkerrechtswidrigen Angriffskrieg" wird dann genau das Gegenteil - ups. ...

Gewagte Hypothese (!) des Prof. Hendrickson.
Er läßt dabei aus den Augen, daß eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates nur dann zulässig ist, wenn eine humanitäre Intervention (eine Form der militärischen Intervention) zwingend erforderlich ist, da die Sicherheitkräfte einer Nation offensichtlich nicht in der Lage sind, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu unterbinden oder zu beenden.
Und genau diese Entscheidungsfindung steht nur dem UN-Sicherheitsrat zu!
Sie steht nicht der NATO zu (-> Kosovo-Krieg) und sie steht nicht Moskau zu (-> Ukraine-Krieg).

Anfang Februar 2014 - revolutionäre Zeiten hin oder her - waren die ukrainischen Staatsorgane durchaus in der Lage, für Sicherheit im Inneren zu sorgen. Die ukrainischen Sicherheitskräfte verloren das dafür notwendige Gewaltmonopol erst durch die Militärintervention regulärer russischer Streitkräfte ohne Hoheitsabzeichen auf der Krim ...
... mich interessieren diese vereinzelten Stimmen in England also nicht: ich weiß selber sehr genau, wann ich einen Angriffskrieg vor Augen habe.

Quellen:
- Grundgesetz
- UN-Charta
- https://www.bundestag.de/resource/blob/494342/c988a114889d64da27975b0f72d71e97/Aenderungen-des-Grundgesetzes-seit-1949-data.pdf
- https://www.grin.com/document/97796
- https://de.wikipedia.org/wiki/Humanit%C3%A4re_Intervention

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (15.03.2024 19:00).

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