Ich hatte immer den Eindruck, dass Sahra weniger deshalb gute Inhalte vermittelt, weil sie eine brillante Rhetorikerin ist, sondern sie eher umgekehrt so knapp und klar Dinge auf den Punkt zu bringen weiß, weil sie viele Dinge sehr grundlegend verstanden hat, unglaublich clever und wahrheitsorientiert ist.
Umso mehr ärgert mich die Einseitigkeit, mit der sie das Lied von Leistung, Leistungsfähigkeit und Leistungswilligkeit singt. Ist zwar alles nicht falsch, was sie dazu sagt, aber blind gegen das, was sie über Leistungslosigkeit zu sagen wüsste: Nicht nur vererbte Machtpositionen, auch Bullshitjobs, die ganze leere Fetischmaschinerie des automatischen Subjekts in so vielen völlig sinnfreien Leistungssphären (wer bräuchte im Verein freier Menschen Buchhalter_innen oder Marketing-Leute z. B.?) - und umgekehrt all jene sehr konkreten Triebschicksale, die aus sich heraus keine Leistung erbringen können, Behinderte etwa, die zunehmend mehr werdenden psychisch Verbauten etc. pp. Und die Mitte in diesem dialektischen Verhältnis: Alle Arbeit im Kapitalismus bleibt sublime Sklaverei, geadelt von den bürgerlichen Freiheitsidealen zur hier und da auch mal mitsprechen dürfenden Ausbeutung.
Sie hat sich da vielleicht wahltaktisch auf die Baby-Boomer schielend entschieden, dem Romantizismus eines goldenen Wirtschaftswunders immer wieder die Ehre zu geben, obgleich sie es ganz sicher besser weiß und auch klar benennen könnte, wie viel Kitsch zur Übertünchung blutigster Widersprüche in diesem Romantizismus immer schon steckte.
Ihre Kritik an den Identitätspolitiker_innen finde ich sehr triftig:
Dieser moralische Rigorismus, der die eigenen Privilegien zu Tugenden verklärt, der ist das Problem.
Sie sollte sie m. E. aber auch auf die leistungsorientierten Arbeiter_innen anwenden.
Der Individualismus von leistungsorientierten Arbeiter_innen übersieht m. E. absichtlich das bessere Wissen, dass alle Individuen gesellschaftlich vermittelt bleiben und noch die erfolgreichsten lange nicht so autark wie diese Formulierung suggerieren möchte:
Die klassische Arbeiterbewegung war immer leistungsorientiert, denn wenn sozialer Aufstieg möglich werden soll, dann nur, weil jeder die Chance bekommt, mit eigener Anstrengung über seine Lebensperspektive zu entscheiden.
Das führt m. E. zu einer falschen Kritik am bedingungslosen Grundeinkommen:
Das bedingungslose Grundeinkommen würde Arbeitslosigkeit von einem Problem zur Normalität machen, um dann zu sagen: "Die kriegen doch ihr Geld, die sollen sich nicht beschweren." Wir brauchen statt Hartz IV eine ordentliche Arbeitslosenversicherung, die im Falle eines Jobverlusts vor dem sozialen Absturz schützt. Aber eine Leistung, die jeder bedingungslos bekommt, kann genau das nicht leisten, denn das kann nur eine Minimalabsicherung sein. Es ist kein Zufall, dass sich auch viele Neoliberale für diese Idee begeistern.
Polemisch: Die entbehrlichen Sklav_innen fühlen sich wohler, wenn wir ihnen Hamsterräder statt TV und Sofa geben.
Das ist eine offenkundige Lüge, ich weiß nicht, wer so etwas glauben kann. Die leistungsorientierten Arbeiter_innen vermutlich, insofern ja auch die Gewerkschaften die Hartz-Reformen eher begrüßten als bekämpften. Um deren Paternalismus geht's wohl eher als um das Leben der entbehrlichen Sklav_innen - und das ist bereits bösartig in Argumentation und politischer Haltung. Während die meisten Sozialdemokrat_innen ja nicht einmal fähig sind zu begreifen, warum das bösartig ist, könnte Sahra das ganz sicher vielfältig durchdeklinieren, wenn sie wollte.
Gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen zu argumentieren, wäre hingegen viel einfacher zu haben: Es ist in notwendiger Höhe über Steuerstaat so sehr nahezu unbezahlbar, dass es eine Revolution erforderte, demokratisch nicht umsetzbar.
Würden wir es allerdings als Helikoptergeld über Geldmengeninflationierung ausschütten, wär's kein prinzipielles Problem und wir könnten gleich noch ein bedingungsloses Wirtschaftseinkommen oben drauf legen, um die unbrauchbaren Sklav_innen in die Position aktiver Investor_innen zu bewegen. Das wäre zwar auch paternalistisch wie alle Vergesellschaftung, aber weit mehr ermächtigend als der unmittelbar vom NS übernommene Glaube der Sozialdemokratie daran, dass Arbeit frei mache.
Ich hätte gern mehr SciFi und weniger kitschige Romantizismen wegen der Überalterung der Wähler_innen, bitte.