In dem, was Sie beschreiben bin ich ganz bei Ihnen. Mein Beitrag ist auch in keinster Weise als Versuch gemeint, die neoliberalen Entwicklungen, generell und als Beispiel im Bildungsbereich irgendwie in Schutz zu nehmen. Ich bin vielmehr der Ansicht, dass die Zeit davor nicht zufällig oder aufgrund einer arbiträren Entscheidung der Chicago-Boys und Sympathisanten in den Neoliberalismus übergegangen ist, sondern weil das Ganze, aufgrund immanenter Systemaporien in eine Krise übergegangen war, was den Marktfundamentalisten die Chance bot, ihre Konzepte als Ausweg zu präsentieren. Kurze Zeit hat das ja auch gut geklappt, was allerdings nicht in erster Linie diesen Massnahmen selbst - etwa Big Bang an der Börse - zu verdanken war, sondern dem Zusammenbruch des konkurrierenden Systems, das neue Märkte öffnete - man denke an die Ex-DDR, die von der westdeutschen Wirtschaft praktisch geschluckt wurde. Dazu kam der unaufhaltsame Aufstieg Chinas, ein weiterer neuer und gigantischer Markt, sowie einige technologische Umbrüche. Spätestens 2007 waren diese kontingenten Effekte aber verpufft.
Was hat das nun mit Wagenknecht zu tun? Was sie als positiven Zustand beschreibt, trug den Samen der Radikalisierung schon in sich. Wie ich schon schrieb, es gibt keinen akzeptablen Kapitalismus, jedenfalls keinen dauerhaften. Alle Zugeständnisse an die Proletarier sind stets mit einem Verfallsdatum versehen. Wenn sie sich dies und das leisten können, vergessen die Proletarier, dass sie welche sind, werden dann in der folgenden Krisenzeit unsanft wieder dran erinnert. Kapitalismus ist nicht meliorierbar, seine Konstruktionsfehler sind unkorrigierbar. Es ist der grosse Irrtum aller sozialdemokratischen Ansätze, das Gegenteil zu glauben.
Es ist schon sinnvoll im Hier und Jetzt für gerechte Verhältnisse zu kämpfen. Das kann durchaus einen wesentlichen Unterschied machen. Aber kapitalismusimmanent wird man den Kuchen nie komplett gebacken kriegen. Früher oder später kommts zum Backlash.
Und dann ist dann noch die a la longue alles entscheidende ökologische Frage. Diesbezüglich ist es noch verzwickter. Weder Links- noch Rechtshegelianer, noch sozialistische Ansätze anderer Länder hatten das im Blick. Dafür ist die christliche Botschaft, sich die Erde untertan zu machen, kulturell zu tief verankert.
Bei Wagenknecht, ich wiederhole es, spürt man eine ahistorische Nostalgie, den Glauben, man könne zu vermeintlich oder auch real besseren Zuständen zurück. Es geht über Konservativismus hinaus. Ich sympathisiere mit ihrer Motivation, nicht aber mit ihren Forderungen. Kompromisse mit rechten Denkweisen, ja eine Teilübernahme ihrer Ideologeme, führt nicht zu einer besseren Zukunft.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (28.04.2021 23:00).