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  • omniscient

mehr als 1000 Beiträge seit 26.09.2001

Der Artikel trifft sehr wohl den Punkt

Gullinkambi schrieb am 21.03.2024 21:15:

Wer sich selbst eine Meinung bilden möchte, dem empfehle ich dieses Video (Interview mit S. Wagenknecht):
https://www.welt.de/politik/deutschland/video250629171/Sahra-Wagenknecht-Einen-Krieg-mit-Russland-wuerden-wir-alle-nicht-ueberleben.html

Dort offenbart Frau Wagenknecht, dass sie keine
Ahnung von der Materie hat. Zunächst einmal
übergeht sie ständig, dass Bürgergeld nicht mit den Sozialausgaben
gleichgesetzt werden darf.
Das Bürgergeld ist nur ein kleiner Teil davon. Zudem
betragen die Ausgaben fürs Bürgergeld nur ca. 5-7% des
Bundeshaushalts. Davon entfällt nur ein Promilleanteil
auf Sozialbetrug. Das steht in keinem Verhältnis zu dem
Popanz bezüglich eines Sozialbetrugs, den die Union und
Sahara Wagenknecht hier der Öffentlichekeit vorgaukeln.
Wenn der Staat sich mit wirklich lohnenswerten Einsparungen
befassen wollte, dann müsste er an die Steuerbetrüger,
Steuerflüchlinge, die Vermögenden und die fehlgeleiteten
Steuersubventionen ran. Da geht es um hunderte Milliarden
pro Jahr, nicht um Milliönchen (wenn überhaupt), wie beim Bürgergeld ...

Wieso hat z.B. niemand in der FDP ein Problem damit,
dass sich Landwirte ihre unwirtschaftliche(!) Tätigkeit seit
Jahrzehnten vom Staat alimentieren lassen mit zigtausend
Euro pro Monat, statt auf eigenen Beinen zu stehen.

Auch bei den Subventionen an Tesla oder Intel
oder AMD bekommt fast niemand den Mund auf,
obwohl diese Unternehmen zum Teil Millliarden Gewinne
einfahren oder über Bar-Vermögen verfügen und daher eigentlich keine Förderung benötigen.

Wenn diese Firmen hier keine Chips produzieren wollen
und der Staat hier trotzdem gerne Chipproduktion haben will,
dann soll er halt einen Eigenbetrieb gründen und die Milliarden
dort investieren, anstatt die Milliarden an Unternehmen
zu verschenken, die selbst genug Geld haben.

Aber wehe ein Bürgergeldempfänger bekommt 60 Euro
im Monat mehr... Da stimmt doch die Perspektive
und die Relation vorne und hinten nicht mehr.

Ab ca. 7:40 min erklärt Frau Wagenknecht ihre Kritik am Bürgergeld. Ihre Meinung ist durchaus differenziert: "Bürgergeld" ist für die gedacht, die nicht arbeiten können. Gleichzeitig kritisiert sie die zu geringe Unterstützung für (unverschuldet) Arbeitslose, und die Darstellung der CDU, die sich nur auf den Missbrauch fokussiert (wie auch der vorliegende TP-Artikel).

Damit offenbart sie fundamentale Unkenntnis: Denn bei
Bürgergeld kommt es nicht auf Verschulden an. Bürgergeld
soll eine Grundsicherung von Bedürftigen bewirken.
Deshalb bekommt man das auch nur nach einer aufwendigen
Bedürftigkeitsprüfung und der Betrag umfasst nur 562 Euro.

Dass bei Migranten die Bedürftigkeitsprüfung ins Leere läuft und
damit praktisch eine Inländerdiskriminierung
entsteht, liegt an der migrantenfreundlichen Politik der EU
und an daraus gezogenen Praktikabilitätserwägungen:
Bei einem Inländer kann man leicht Papiere, Bankkonto
und Vermögen kontrollieren und ihn damit "drangsalieren".
Das klappt bei einem Migranten, dem eh alles "scheiss egal" ist,
aber nicht so einfach, zumal die nicht selten angeben, weder Papiere
noch Vermögen zu haben und das mit der Flucht begründen und
wenn es eng wird, ziehen die dank GFK einfach ins nächste EU
Land (der Flüchlingsstatus geht dadurch nämlich nicht verloren)
so wie im Fall TARAKHEL v. SWITZERLAND.

Dass diese Praxis zu nicht plausiblen Verhaltensweisen führt,
hat auch ein Teil der Richter des EGMR in ihrem abweichenden
Votum im Fall TARAKHEL v. SWITZERLAND erkannt:
"No information was provided concerning the applicants’ economic circumstances or the possibilities for them to arrange accommodation of their own. However, we note that they had the resources to travel to Austria and onwards to Switzerland and to support themselves by some means during periods when they were not taken care of by the Italian, Austrian or Swiss authorities. Only if they were unable to arrange private accommodation would they have to rely on the Italian authorities to provide them with a place to live."

Auf der Basis lässt sich natürlich leicht Stimmung gegen
die Armen im Land machen. Die sind von der Inländerdiskriminierung
eh nicht begeistert und wählen deshalb nicht selten AFD und Union,
ohne zu erkennen, dass diese Neoliberalen gegen sie selbst sind.

Dass Missbrauch von Sozialhilfe durchaus in relevantem Umfang stattfindet, kann man beispielsweise diesem Bericht aus "Betroffenenseite" entnehmen (leider Paywall):
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/clan-aussteigerin-latife-arab-erzaehlt-von-pruegel-und-polizeirazzien-in-ihrer-familie-a-2f3317a1-2353-476b-941e-bca6aebc115f

Natürlich gibt es Leistungsmissbrauch. Das ist aber
bei jeder Leistung so. Die eigentliche Frage muss aber sein,
ob die Relation der Empörung zu dem Betrag, den der Missbrauch
ausmacht, angemessen ist. Und da stimmt es eben nicht. Die
Union und die AFD machen neoliberale Stimmung gegen die
Schwächsten (denn die werden jede Verschärfung spüren) und tun so,
als würde von dieser Frage das Wohl des Gesamtstaats abhängen.
Das tut es aber nicht. Bei dem Missbrauch geht es um Millionenbeträge
pro Jahr, die der Staat sich zurückholen kann. Die Armen, denen man
die Leistungen kürzt können das aber nicht.
Wenn der Staat Geld braucht, dann dürfen nicht die Armen
der Ansatzpunkt sein. Millionen könnte der Gesamtstaat allein
schon dadurch einsparen, dass die Anzahl der Abgeordneten und der Ministerien und der Staatssekretäre und die Verwaltung reduziert
würde und die Digitalisierung endlich für Effizienzsteigerungen eingesetzt würde und dadurch, dass Fehlsubventionen abgeschafft werden. Dass z.B. unglaubliche 5,7 Milliarden Euro nach Indien fließen oder 30 Millionen nach China ist grotesk, wenn man hier den Armen die 60 Euro Erhöhung neidet, die sie zum Leben brauchen.
(Quelle: https://www.transparenzportal.bund.de/de).

Dass die FAZ ein neoliberales Blatt ist und das Wagenknecht-Interview in ein für sie "passendes" (Welt-)Bild rückt - geschenkt.

Nun, das stimmt zwar, aber da brauchte sich die neoliberale
Journaille, zu der auch die Springerpresse und die NZZ gehören,
nicht sonderlich zu strecken. Die Wagenknecht hat ja geradezu
danach gebettelt, so interpretiert zu werden.

Ich vermisse generell eine objektive und sachliche Berichterstattung über das BSW und Frau Wagenknecht. Stattdessen wird überwiegend mit Vorurteilen und unsachlichen Übertreibungen um sich geworfen.

Mag sein. Aber Wagenknecht nähert sich ganz von allein und ohne
Arglist der Presse mit ihren neoliberalen Thesen dem Unionssprech und der AFD-Diktion an.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (15.05.2024 09:53).

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