Unsere Entscheidungsträger in Brüssel und Berlin haben seit 2014 in unterschiedlich großem Umfang Russland sanktioniert. Wirklich beeindruckt hat das niemand in Moskau - wohl aber ein Umdenken bewirkt: was nicht mehr von europäischen Märkten gekauft werden kann, wird entweder durch Eigenproduktion substituiert oder ohne Umwege über die teuren Europäer direkt in Asien gekauft.
Die Sanktionen sollen ja eigentlich den Zugang zu bestimmten Gütern und Technologien erschweren, etwa Robotik, Sensorik und die nötige Elektronik, all diese Dinge zu steuern. Denn modernes Kriegsgerät kommt ohne nicht aus. Selbst wenn also Russland auf Öl, Kohle und Gas sitzt um damit die Maschinerie am Laufen zu halten, wenn sie keine Chips mehr haben, bauen sie auch keine Panzer mehr, oder? Und wenn sie ihr Öl, ihr Gas und ihre Kohle nicht mehr nach Europa verkaufen können, dann haben sie bald kein Geld mehr für den Waffengang? Stimmt doch, oder?
Naja ...
Die Mär von den aus Waschmaschinen geklaubten Mikrochips für Kampfdrohnen macht ja immer mal die Runde, ist aber Unsinn, wenn man sich halbwegs mit Elektronik auskennt. Klar, man kann die üblichen FPGA-Chips überall einbauen und damit auch Kriegsmaschinen steuern. Aber die auf dem Customer-Markt verwendeten Chips sind gar nicht vom Militär verwendbar. Das fängt beim Temperaturbereich an, in dem die Chips stabil arbeiten können müssen, geht weiter über diverse andere Parameter bis hin zur "Härtung" gegen EMP-Schläge. Was nützt also der FPGA-Chip aus der Waschmaschine von 2017, wenn der bei Minustemperaturen den Geist aufgibt? Gerade russische Technik ist bewusst primitiv und robust gehalten, damit das auch in der Taiga im Winter funktioniert, wenn Diesel anfängt auszuflocken ...
Ergo: die Russen werden ihren Bedarf an Militärchips nicht aus Haushaltsgeräten decken, sondern vermutlich einfach in China einkaufen und das, was unter Geheimhaltung läuft, selber herstellen. Da ist dann auch die Ausbeute oder die verwendete Technologie wurscht: die müssen nicht mit 9nm produzieren, die bauen notfalls wie die Altvorderen noch mit Mikrometerrechnologie gute alte 74er-Schaltkreise. Wenn's funktioniert, warum nicht? Die NASA hat bis vor kurzem auch nichts anderes gemacht, als auf robuste Technik aus den 80ern gesetzt.
Und die fossilen Brennstoffe? Die verkaufen sie halt an China, Indien oder Kasachstan. Ist ja nicht so, dass ALLE Nationen der Welt sich an den Sanktionen beteiligen und keine Geschäfte mehr mit Russland machen wollen.
In Brüssel klopfen sich die Entscheider für ihre Schlauheit auf die Schultern, kaufen Gas und Öl aus Kasachstan und freuen sich, dass es keine Abhängigkeit mehr von Russland gibt. Den Aufpreis zahlen die Verbraucher. Auch bei all den anderen Wunderwirkungen der Sanktionspolitik ist doch fragwürdig, warum weder in Brüssel noch Berlin noch Paris und den anderen europäischen Hauptstädten keiner mal auf die Idee kommt, zu prüfen, wie "wirksam" eigentlich dieser Wirtschaftskrieg seit 2014 eigentlich ist.
Denn würden sie es tun, wären sie vielleicht auf die Idee gekommen, dass die russische Regierung keineswegs die Schmähungen stoisch ertragen hat und untätig blieb. Statt dessen haben die gut 8 Jahre Vorlaufzeit genügend Motivation ergeben, die bis dahin auf europäische Importe angewiesene Wirtschaft umzustellen. 8 Jahre sind viel Zeit - und die sind halt genutzt worden. Mit Kriegsbeginn und Verschärfung der Sanktionen hat man im Kreml dann all die in langen Jahren vorbereiteten Pläne aus der Schublade geholt und rasch umgesetzt. Die Wirtschaft wurde umgesteuert - komplett. Übrigens nicht zum ersten Mal in der Geschichte Russlands. Das geschah bereits nach dem Untergang der Sowjetunion und davor auch mit dem Überfall auf die Sowjetunion 1941. Solche Flexibilität ist beispiellos und ist zumindest in Deutschland in jüngster Vergangenheit nur von den Ostdeutschen abverlangt worden, als man über die Treuhand die Betriebe abwickelte und das Land praktisch Tabula-Rasa leerfegte.
Aber natürlich kann man sich in Brüssel kaum vorstellen, dass Russland auch komplett ohne Europa funktionieren kann. Sicherlich hätte ein Blick in den Atlas oder auf einen Globus genügt, dass nur ein Teil Russlands auf europäischem Grund liegt und auch wenn die Geschichte des Landes eine europäische Geschichte ist und nach wie vor die Mehrheit der Russen westlich des Urals lebt: Russland stellt auch die Brücke nach Asien dar und hat dort viele Handelspartner und Freunde. Russland braucht die Europäische Union nicht - dank "Abschied auf Raten seit 2014". Sie hatten Zeit sich vorzubereiten und wussten, was kommen würde, als der russische Präsident den Marschbefehl gab. Der ist keineswegs in ein militärisches Abenteuer "gestolpert", auch wenn's so anfänglich schien.
Und heute?
Russlands Wirtschaft ist stabiler aufgestellt als vor dem Waffengang. Die ukrainische Offensive ist steckengeblieben und die wenigen Landgewinne hat man mit viel zu viel Blut erkaufen müssen. Die Verhandlungsposition "unserer" Seite wird von Tag zu Tag schlechter. Moskau muss nur abwarten, Russland hat alle Optionen auf seiner Seite. Ob im Krieg oder auf diplomatischem Parkett oder in der Politik. Da müsste schon ein Regierungswechsel im Kreml anstehen, damit sich da wieder was bewegt und aktuell sieht es nicht danach aus. Und selbst wenn, wird es nicht automatisch besser. Im dümmsten Falle wird's sogar schlimmer.
Man muss schon sehr verkopft sein und nicht die Realität sehen wollen, wenn man unsere Entscheidungsträger glauben, es sei anders als beschrieben. Die Sanktionen einstampfen können sie nicht einfach so. Denn dann müssten sie ja sich eine Niederlage eingestehen. Und auch aus Washington wird es die Anweisung geben, die Sanktionspolitik aufrecht zu erhalten, und sei es nur als symbolische Geste an die Ukraine. Als ob man mit Symbolpolitik tote Kinder wieder ins Leben rufen könnte und Familien ihre Väter zurück ...
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (15.08.2023 01:45).