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  • crumar

mehr als 1000 Beiträge seit 08.03.2007

Leicht OT das bemerkenswerte Interview von Günter Verheugen im ND

vom 3.4.2022, bei dem mir der Unterkiefer entglitten ist an einigen Stellen.

Hier liegt er auf einer Linie mit der Analyse von Mearsheimer bei den Kriegsursachen (s.: https://www.youtube.com/watch?v=JrMiSQAGOS4) (kursiv von mir):

"Ich will damit sagen: Die Strategische Partnerschaft war das, was Russland wollte, und diese Partnerschaft hat eine Zeitlang auch sehr gut funktioniert, bis ganz andere Fragen, die mit dem Verhältnis zwischen der EU und Russland nichts zu tun hatten, in eine neue Ost-West-Konfrontation führten.

Welche Fragen waren das?

Der Grund war, dass die EU mehr und mehr der US-amerikanischen Linie folgte. Und Washington meinte, es komme darauf an, langfristig Russland so zu schwächen, dass es nicht wieder zum Rivalen werden kann. Putin hat in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 klar gemacht, dass er einen Kurs der Missachtung russischer Sicherheitsinteressen nicht akzeptieren wird. Die Nato-Osterweiterung war in den Augen der russischen Seite das Hauptübel, aber es irritierte auch, dass die östliche Partnerschaft der EU nach 2007 ohne Beteiligung Russlands in Gang gesetzt wurde."

2022 lässt sich ohne diese Vorgeschichte und die Stationierung des Raketenschirms (s. Aegis onshore) in Polen und in Rumänien nicht verstehen. Auch die "Annexion der Krim" übergeht ganz simpel, um was es geopolitisch wirklich geht, nämlich die Stationierung der Schwarzmeerflotte.

Aber bei folgender Passage dachte ich mir, es gibt einen Grund, warum Verheugen ausgerechnet jetzt ein Interview im "Neuen Deutschland" gibt. Umgehauen hat es mich trotzdem (kursiv wiederum von mir):

"Auf jeden Fall ist es zwingend notwendig, die gesamte Vorgeschichte des Ukraine-Krieges zu verstehen und richtig einzuordnen. Die EU wird auch bereit sein müssen, eigene Fehler aufzuarbeiten. Wenn wir die Vorgeschichte betrachten, sollten wir zwei Fragen genau unter die Lupe nehmen: An wem ist das Minsker Abkommen gescheitert, und wer oder was hat die EU dazu getrieben, sich im Jahr 2013 an einer Regimechange-Operation in der Ukraine zu beteiligen?"
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1162663.eu-russland-konflikt-wir-muessen-bereit-sein-russland-wieder-die-hand-zu-reichen.html

Holy shit, was für Eingeständnisse.
Der "regime change" in der Ukraine 2014 war erstens eine Kooperation der EU mit den USA?!
Es gab zweitens niemals die Absicht der westlichen Garantiemächte, das Minsker Abkommen umzusetzen?!
Man folgte seitens der EU drittens der US-amerikanischen Linie, wonach es darauf ankomme, langfristig Russland so zu schwächen, dass es nicht wieder zum Rivalen werden kann?!

WHAT THE F****?!
Das Interview war für mich - gelinde gesagt - ausgesprochen erhellend.
Ich hoffe, Günter Verheugen wird es auch weiterhin gut gehen - jedenfalls wünsche ich ihm ein langes Leben.

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