Fangen wir Mal mit den dürftigen Geschichtskenntnissen an.
Deshalb widersetze ich mich der wohlfeilen Hetze der letzten Tage gegen Russland. "Der Russe" ist nicht kriegssüchtiger als "der" Ami oder "der" Deutsche. Ein kurzer Blick in die neuere Geschichte zeigt anderes.
Nicht die Russen haben ständig den Westen überfallen. Es ist umgekehrt (Napoleons Russland-Feldzug 1812, Kriegserklärung Kaiser Wilhelm II. an Russland 1914, Hitlers "Unternehmen Barbarossa" 1941).
Russland gibt es als eigenständig agierendes Gebilde und Machtfaktor erst seit dem 17.ten Jahrhundert. Kein anderer Staat hat seit dem so viele Gebiete erobert und Völker unterworfen wie Russland. Auch dem Russlandfeldzug Napoleons ging eine Einmischung Russlands in den Koalitionskriegen voraus. Der Wahnsinn des Ersten Weltkriegs wäre Allen erspart geblieben, wenn das Deutsche Reich nicht macht- und bündnispolitisch mit Russland eingekesselt worden wäre. Da kam man in Berlin auf die Idee, als schwächere Partei einen Krieg zu starten, weil man mit dem Schliefen-Plan hoffte, sich aus der Umklammerung lösen zu können. Und der Adolf hätte sich seinen Blitzkrieg auch schenken können, wenn man damals nicht heimlich zusammen mit den Sowjets die Panzerwaffe entwickelt hätte. Nein, Kinder von Traurigkeit oder gar friedlich waren die Russen nicht. Die größte Ausdehnung erreichten sie dabei unter dem Georgier Stalin.
Ich halte nicht viel davon, die Geschichte als Maßstab für die Zukunft zu machen, aber dieser Sermon von Peter Vonnahme zeigt uns das eigentliche Problem vieler Putin-Versteher:
Die Menschheit läßt sich grob in 2 Arten von Völkern unterteilen. Es gibt die freien Völker, die zwar auch Kriege verloren haben, aber maximal nur eine kurze Zeit der Besetzung erleben mußten. Dazu kann man die Russen und die (West-)Deutschen zählen. Und es gibt die geknechteten Völker, die Generationen unter Fremdbestimmung durch ein anderes Volk erdulden mußten. (Polen, Balten, Ukrainer ...)
Nur mit einer Verachtung der geknechten Völker läßt sich erklären, warum die Befindlichkeiten des Russen Putin ein ganz anderes Gewicht bekommen, als das Selbstbestimmungsrecht der anderen Völker.
Wie weit möchte Peter Vonnahme dort eigentlich gehen? Wieder bis zum alten eisernen Vorhang? Darf aus Moskau wieder diktiert werden, wie Leben und Politik im Baltikum, Polen oder gar Deutschland auszusehen hat? Damit sich der Kreml Herrscher großartig fühlt und immer sanft schläft?
Eine ebenfalls unwürdige Argumentation für einen Richter ist die bei Kriminellen übliche Argumentation, warum sie verurteilt werden sollen, wenn da draußen noch andere (natürlich immer schlimmere) Verbrecher herumlaufen.
Wenn wir einmal einen großzügigen Strich unter die Zeit bis zum Zusammenbruch der UdSSR ziehen und nur das neue Russland betrachten, so kommt man auf 11 bewaffnete Konflikte. (Georgien, Ukraine, Tadschikistan, Moldau, Dagestan, Nordossetien, Tschetschenien, Syrien). Und mit den Wagner-Festspielen: Syrien, Lybien, Mosambik, Mali.
Dabei sind in der Zeit mehr russische Soldaten gestorben, als es Opfer unter den amerikanischen Streitkräften gegeben hat. (Ohne den Überfall auf die Ukraine.)
Fazit: In Russland befand man sich eigentlich permanent irgendwo im Krieg. Gewalt ist das übliche Mittel zur Konfliktlösung. Da es i.d.R. nicht in Europa (im engeren Sinne) passierte, betrachtete man die Sachen bei uns immer durch die rosarote Brille.
Auch fehlt mir ein nüchterner Blick auf die innenpolitische Entwicklung in Russland.
Hier hat Putin aus dem zarten Pflänzchen einer möglichen, freien Demokratie, einen totalitären Staat gemacht, in dem seine Machtfülle sogar noch größer ist, als die aller Kreml-Herrscher nach Stalin.
Und die Wirtschaft? Putin hat Russland endgültig zum Oligarchenland gemacht. Auch die lang eng verbandelte Ukraine hat dieses Problem. (Von der Autokratie Belarus einmal ganz zu schweigen.)
Gönnt man sich einen nüchternen Außenblick, so läßt sich feststellen:
Während des Kalten Krieges war die UdSSR (mit ihren europ. Teilrepubliken) auch wirtschafts- und wohlstandstechnisch die Könige des Ostbocks. Jetzt ist die enge Bindung an Moskau ein Synonym für Armut und Rückständigkeit.
Der EURO-Madian drückte einfach den Wunsch aus, die Stellung als Armenhaus Europas verlassen und zum Wohlstand und Demokratie der westwärts gerichteten Länder aufschließen zu können.
Die Amerikaner glauben, dass sie – ungeachtet ihrer inneren Zerrissenheit – ihren Fernzielen Ausschaltung der "Regionalmacht Russland" (Obama) und globale Hegemonie einen wesentlichen Schritt näher gekommen sind. Das könnte sich als großer Irrtum erweisen.
Krieche doch einmal aus dem Bunker heraus. Russland ist auch mit ganz viel Liebe keine Weltmacht mehr. Auch hatten die Amerikaner auch nach dem Kalten Krieg nie die Absicht Russland "auszuschalten".
Das ganze Hegemon-Gequake kann man sich auch schenken. Was ist denn aus den hochfliegenden Zielen der Nachkriegszeit geworden? Wie sieht denn die Bilanz der ganzen Einsätze mit und ohne UN-Mandat aus? Man kann zwar wunderbar praktisch jeden Staat zusammenschießen, aber stabile Systeme, gar Demokratien von außen basteln kann man nicht.
Es war ja Obama, der öffentlich verkündete hatte, dass die enge Bindung an Europa jetzt Geschichte sei und man sich lieber dem Pazifik zuwenden wolle. Die Chinesen gehen ja auch wesentlich geschickter vor, indem sie andere Staaten wirtschaftlich abhängig machen und über diesen Kanal Expansionspolitik betreiben.
Die Berliner Republik ist einfach auf die Nase gefallen. Die NATO meinte man nicht mehr zu brauchen, weil man von Verbündeten umgeben ist. Und Russland sah man gerne als Freund und Partner, mit dem man friedlich ja über alles Reden könne.
Labern statt Waffen. Die Seifenblase ist geplatzt.
Das war aber auch richtige böse vom Putin.
Die Friedensdividende wurde verjuckt.