elChoclo schrieb am 24.11.2024 15:25:
Oder stellt das wiederum bereits eine Beleidigung dar?
Geh mal ganz grundsätzlich davon aus, dass jede direkte Bezeichnung einer Person mit einem gemeinhin als herabwürdigend bekannten Begriff (Duden hilft) als Beleidigung zu werten ist. Wenn du also sagst, "XY ist ein Prozesshansel", könnte auf eine Anzeige der betroffenen Person ein Strafverfahren und eine Verurteilung folgen, insbesondere, wenn ein Politiker im Amt damit gemeint ist. Lediglich der Kontext kann unter Umständen an der Strafbarkeit einer solch herabwürdigenden Personenbezeichnung etwas ändern.
Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen "XY ist ein Prozesshansel" und "XY benimmt sich wie ein Prozesshansel" - letzteres ist nämlich eine Verhaltenskritik. Oder: "XY ist ein Dummkopf" vs. "Was XY sagt, ist dumm." - letzteres wäre eine Inhaltskritik, und "Was XY sagt, finde ich dumm" wäre eine inhaltskritische Meinungsäußerung. Wobei man aufgrund der Verwendung des Wortes "dumm" die Sachlichkeit in beiden Fällen in Frage stellen kann. Aber emotional gefärbte, unsachliche Äußerungen sind erstmal kein Straftatbestand.
Allerdings würde ich keine Wetten darauf abschließen, dass man damit immer vor Gericht durchkommt, denn auch hier wird ein Richter die Umstände und den Kontext der Äußerung würdigen - und wenn die Staatsanwaltschaft überzeugend darlegen kann, dass es nicht verhaltens- oder inhaltskritisierend, sondern eindeutig beleidigend gemeint war und die Formulierung lediglich der Verschleierung dieser Tatsache diente, guckste in die Röhre.
Auf jeden Fall solltest du immer bedenken: Anzeige erstatten kann erstmal jeder wegen alles, die Polizei ist immer verpflichtet, das aufzunehmen, und der Staatsanwaltschaft zur Kenntnis zu geben. Und dann kommts darauf an, wie der zuständige Staatsanwalt so gestrickt ist... Im Zweifel musst du also mindestens ein Ermittlungsverfahren über dich ergehen lassen. Wie man an dem aktuellen Beispiel des Rentners mit seiner Schwachkopf-Äußerung sehen kann, kann das ziemlich unangenehm werden. Es schützt dich auch nichts vor einem übereifrigen Staatsanwalt, der wegen Banalitäten Anklage gegen dich erhebt, oder gegen einen hochmoralischen Richter, der diese zulässt und ein Strafverfahren eröffnet.
Es macht also durchaus Sinn, den eigenen Wortschatz zu erweitern und sich möglichst ohne Schimpfwortnutzung über andere Personen, insbesondere über Politiker im Amt zu äußern und dabei lieber Verhalten und Inhalt zu kritisieren, als die Person an sich zu diffamieren. Vor allem, da der Wind in der Strafverfolgung dank der allgemeinen sprachlichen Verrohung in den SozialenMedien und Kommentarspalten neuerdings sehr viel schärfer zu pfeifen scheint und es überdies Leute gibt, die sich hauptberuflich als Petze gerieren. Tatsächlich gibts mittlerweile sogar Geschäftsmodelle, die genau damit Geld verdienen und damit werben, zB einen Habeck als Kunden zu haben, die ich hier nicht verlinke, um keine kostenlose Werbung für sie zu machen.
Diese ganze Entwicklung ist natürlich sehr unschön und wirkt überaus verunsichernd, aber wenn ich bedenke, wie sich der Ton im Netz verändert hat, handelt es sich um eine vollkommen natürliche Aktion-Reaktion-Sache: Auf die zunehmende Verrohung unseres sprachlichen Umgangs miteinander erfolgt als gesellschaftliche Immunreaktion eine zunehmende Verfolgung von solchen Äußerungen. Dazu kommt natürlich eine zunehmende (und durchaus begründete) Angst der Politikerkaste vor dem immer wütender werdenden Volk, die dazu führt, dass es immer stärkere politische Bestrebungen gibt, sich mittels drolliger Gesetze vor der Volkswut zu schützen, statt mal damit aufzuhören, ständig Öl ins Feuer zu gießen und sich dann zu wundern, das der Elfenbeinturm zum Scheiterhaufen wird.
Also, sei ein kluger Bürger und wähle deine in die Öffentlichkeit entlassenen Worte mit Bedacht. Wenn dir der Brass über die Hutschnur steigt, schreibs dir von der Seele und schick es dann ins digitale Nirvana (abbrechen, nicht absenden), das sorgt für emotionale Erleichterung und niemand kann dich dafür belangen. Anschließend hast du den Kopf frei und findest sicherlich Formulierungen, die keine Repressalien zur Folge haben.