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  • Azenion

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Einigkeit statt Recht und Freiheit

NTM schrieb am 22. März 2005 1:26

> Die Angst vor der Differenzierung ist die Angst vor dem Nihilismus.
> Und diese Angst scheint stärker zu sein, als die Angst vor dem
> Totalitarismus.

Treffend formuliert.
Im Zweifel streben die meisten Menschen eher in eine moralisierende
Diktatur (komplett mit obrigkeitlicher Überwachung), als daß sie
moralischen Pluralismus ertragen.

> Sobald es zu einer
> Krise innerhalb einer Kultur kommt,

 - und so eine 'Krise' läßt sich gezielt lostreten, indem man
ausnutzt, daß die meisten Leute bei Berichten über schreckliche
Einzelvorkommnisse (z.B. Terroranschläge oder Kindesmorde) gar nicht
mehr differenzieren *wollen*, da ein kühler Kopf dann für
Empathieunfähigkeit gehalten wird, und wildes Umsichschlagen für die
ehrbarere Reaktion gilt -

> kann man immer wieder den
> gleichen Mechanismus der Polarisierung beobachten. Differenzierung
> ist Wehrkraftzersetzung, denn sie macht auf eine gewisse Art
> handlungsunfähig.

Sehr richtig. Nicht um sich zu schlagen, sondern ruhig zu überlegen
oder gar abzuwägen, ob eine Handlung überhaupt angezeigt ist, oder ob
man auch nur den richtigen erwischt, ist den meisten Leuten in
Situationen von Angst oder Zorn unerträglich.

> Evolutionstechnisch gesehen macht das ja auch Sinn;
> die Gruppe, die am stärksten durch Polarisierung den
> Gruppenzusammenhalt mithilfe einer Identifikation auf gemeinsame
> Werte schaffen konnte verschaffte sich damit in Konflikten einen
> Überlebensvorteil. Wie soll der kämpfen, der den feindlichen Soldaten
> als Mensch wahrnimmt? Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.

Diesen Mechanismus kann man in den Heise-Foren zu Reizthemen wie
'Kinderpornographie' immer wieder überprüfen. Sobald man die
Wirksamkeit oder Gerechtigkeit der schärfsten staatlichen Maßnahmen
auch nur infragestellt, gilt man als potentieller Kinderschänder.

(...)
> Was vor 2000 Jahren funktionierte, funktioniert auch heute noch. Das
> Ganze ist aber wirklich nur ein Problem, wenn man an der Mythos der
> Aufklärung glaubt...

Das ganze ist ein persönliches Problem, wenn Individualismus, freie
Persönlichkeitsentfaltung, Gerechtigkeit und Frieden  zum eigenen
Wertesystem gehören.

Im übrigen ist die Aufklärung kein Mythos. Sonst würde die
'öffentliche Meinung' noch nicht einmal Lippenbekenntnisse zum
Rechtsstaat abgeben. Und sonst hätten wir nicht soviele analytische
Prinzipien in unserer Rechtspflege, sondern würden immer noch an
'Gottesurteile' glauben.

Es ist lediglich ein Mythos, daß alle Menschen in gleichem Maße zu
Aufklärung fähig seien, oder daß die aufgeklärte Gesellschaft
gleichzeitig die evolutionär erfolgreichste sein müsse - daß also die
Natur Ethik belohne.

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