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  • chrygel

455 Beiträge seit 05.09.2002

Selenskyj, ein moderner Held?

Mit Helden assoziiert man gemeinhin kämpferische oder auch tragische Gestalten, die Exzeptionelles leisten, sich mächtigen Feinden entgegenstellen, Katastrophen abwehren, Widrigkeiten überwinden und sich Gefahren aussetzen, um die Dinge zum Guten zu wenden, die sich dabei nicht um Regeln und Konventionen scheren – und die für all das verehrt und bewundert werden.

Im diesem Sinne ist die Verleihung des Karlspreis als Kreation eines Heldenmythos um die Person Selenskyj zu interpretieren. Es ist nichts anderes als ein Propagandainstrument, um die Massen zu beeindrucken und die Nachricht zu verbreiten, dass sich die Eliten einig sind.

„Im Staat kann es keine Heroen mehr geben: diese kommen nur im ungebildeten Zustande vor“, beschied bereits Hegel 1820 kategorisch. Je vermittelter die gesellschaftlichen Verhältnisse, desto weniger Platz bleibe für die eigenmächtigen Gestalten der Unmittelbarkeit. In dem Maße, in dem die Wirklichkeit sich realhistorisch zu jenem System zusammengeschlossen hat, dessen Vernünftigkeit Hegel aus dem Prozess der Geschichte zu begründen versuchte, hält er Helden für gleichermaßen unmöglich wie überflüssig

Hegel konnte die modernen Massenmedien nicht vorhersehen, die unsere Gesellschaft wieder unmittelbar anfällig für Helden und Heldenverehrung macht. Die Verleihung des Friedensnobelpreis an die EU, die ständige Betonung von westlichen Werten und Moral fallen in die selbe Kategorie. Wir betreiben eine Art der Selbstbeweihräucherung, mit der wir uns von unserer eigen Exzeptionalität laufend überzeugen müssen, weil Soll und Ist immer weniger übereinstimmen.

Das grösste Problem liegt aber in der wachsenden Komplexität, die aus der immer näher zusammenrückenden Weltgemeinschaft erwächst.
Administrative Entscheidungsprozesse wie die Lenkung von Unternehmen und anderen Großorganisationen, aber auch politisches Krisenmanagement und Kriegführung sind zu vielschichtig, ihre Auswirkungen zu gravierend, um sie von der Willenskraft, dem Mut und der Entschiedenheit Einzelner abhängig zu machen.

In diesem Sinne muss die öffentliche Diskussion wieder versachlicht werden. Die Konzentration auf die Person Selenkyj und seine Ziele, sollten uns nicht davon abhalten unsere eigenen Interessen zu verfolgen. Ausserdem sollten wir die Geschwindigkeit unserer demokratischen Entscheidungsfindungsprozesse nicht an die Not der Ukraine koppeln.

Zitate aus Heroismus und Moderne von Ulrich Bröckling

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (15.05.2023 11:57).

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