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Re: Das ist ja alles noch kein "richtiger" Transhumanismus.

kulinux schrieb am 20. August 2015 12:36

> Langer Rede kurzer Sinn: Ich denke, die tatsächlich qualitativ
> nächste Stufe der Evolution werden technische Wesen sein, die
> mindestens unsere "praktische" Intelligenz besitzen, jedoch nicht von
> überflüssigen Emotionen geplagt werden – vor allem aber: die sich
> selbst verändern und neuen Umgebungen anpassen können, ohne da erst
> zur Genmanipulation greifen und auf die nächste Generation hoffen zu
> müssen. Wesen also, die jederzeit alle vorgefundenen Energie- und
> Materialressourcen möglichst effektiv nutzen und beliebige Zeiträume
> quasi in "Tiefschlaf" verbringen können, um Mangel oder kosmische
> Reisen zu überstehen. Ich bin überzeugt, dass weder die Effizienz des
> biologischen Metabolismus jeglicher Art (vom Bakterium bis zum
> Menschen oder irgendwelchen speziell angepassten Arten z.B. an
> "schwarzen Rauchern" etc.) noch die materiellen Grundlagen von
> Intelligenz bereits ihr "Optimum" erreicht haben und dass diese mit
> technischen Mitteln viel besser/effizienter und jederzeit (nicht nur
> über Dutzende/Hunderte von Generationen) erweitert oder angepasst
> werden können. 

Ich sehe Emotionen nicht als etwas an, das mich plagt - und ich
denke, daß auch künstliche Lebensformen, die Kopien von sich selbst
bauen können (Von-Neumann-Sonden), so etwas wie Emotionen haben
müssen, um zu überleben. 

Wenn es überhaupt so etwas wie "Stufen" in der Evolution gibt, dann
sind das Komplexitätsstufen. Bei der biologischen Komplexität steht
der Mensch als Organismus zwar auf einer hohen Stufe, er ist dort
aber nicht der unangefochtene Spitzenreiter. Wir sind nur geringfügig
komplexer als die anderen Affen, und manche Organismen sind schier
unglaublich komplex auf ganz andere Art. Das nur geringfügig
überdurchschnittlich komplexe Affenhirn reicht aber schon aus für
eine ganz andere Art von Evolution, nämlich kulturelle Evolution. Und
innerhalb der kulturellen Evolution gibt es auch verschiedene
Komplexitätsstufen - die momentan höchste davon ist das, was wir
"Zivilisation" nennen. Momentan ist fraglich, ob der Planet diese
Komplexitätsstufe noch lange aufrechterhalten kann, womöglich fallen
wir auch auf ein präzivilisatorisches Level zurück, falls unsere
Spezies das von uns ausgelöste Massenaussterben überhaupt überlebt.

Wenn wir künstliches Leben bauen, dann müssen wir mit etwas anfangen,
das primitiv und robust ist, und das jahrtausendelang im
Asteroidengürtel herumdriften kann, um dann plötzlich zu erwachen,
wenn es endlich an einem Stück Materie andockt, das als Rohstoff
genutzt werden kann, um Kopien von sich selbst herzustellen. Mehr muß
das gar nicht können - nur Kopien von sich selbst aus irgendwelchem
Sternenstaub 3D-drucken, angetrieben von Solarenergie. Davon
ausgehend kann der Kram dann weiterevolvieren, vielleicht wird dann
in ein paar Millionen Jahren mal etwas davon intelligent, aber auch
ohne Intelligenz könnte es sämtliche kleinen Brocken im All für sich
erobern. Wenn wir es irgendwie schaffen, daß unsere Zivilisation doch
nicht abkackt, dann können wir vielleicht irgendwann einmal diese neu
entstandenen Vakuum-Ökosysteme domestizieren und für uns nutzbar
machen.

Biologische Systeme sind nicht dazu da, ihr "Optimum" zu erreichen -
das wäre eher suboptimal, denn dies Optimum wäre eben auch nur unter
optimalen äußeren Bedingungen stabil. Es geht eher darum, unter
wechselnden Bedingungen angemessen reagieren zu können. Du bist hier,
weil all deine Vorfahren lange genug gelebt haben, um sich zu
vermehren, angefangen bei denen in der Ursuppe. Nur weil wir Menschen
Kultur haben, leben wir überhaupt noch lange weiter, nachdem wir
unsere Fruchtbarkeit eingebüßt haben - wir haben eine kulturelle
Nische für Großeltern, Menschen können durch ihren Beitrag zur
Gemeinschaft die Chancen für ihre Gene auch dann noch verbessern,
wenn sie sie nicht mehr selbst weitergeben können, aber wenn ihr
Nachwuchs bereits Nachwuchs hat. 

Wenn nun aber Menschen unsterblich werden sollten, wo bliebe dann die
Evolution? Ich sehe da eher die Gefahr von Kulturen, die sich in
jahrtausendelangen Endlosschleifen fangen.

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