----- Teil 1 -----
Erstmal danke für diesen Artikel, der doch ziemlich ausgewogen die Probleme in der Sexismusdebatte skizziert. Peinlich, dass es bisher keine unabhängige Struktur gab, um sich solchen Fällen zu widmen.
Ich wage zu unterstellen, dass dies wohl eher nicht an den konstruktivistisch-linkslibertär Denkenden in der Partei lag. Peinlich auch, dass selbst dieser Artikel keine adäquate analytische Beschreibung dieser gesellschaftlichen Gruppe findet, sondern Worte nutzt, die kaum irgendwer als Eigenbeschreibung nutzt, sondern die (fast) nur als Beleidigungen gebraucht werden ("Identitätspolitik", "Lifestylelinke", "Woke" etc).
Auch das sagt viel über den Zustand der Kritik in unserer Gesellschaft aus.
Allerdings halte ich die ideologische Spaltung in Bezug auf den innerparteilichen Sexismus noch vergleichsweise leicht zu lösen. Für geeignet dafür halte ich vor allem Hilfe-, Schulungs- und Rehabilitationsmechanismen, wie es sie nicht nur in der radikalen Linken teilweise schon gibt. Leider oft nicht auf genügend professionellem Niveau. Wobei es bei einer Professionalisierung zu beachten gilt, dass die Mittel für Opferarbeit, Prävention und Täterarbeit in einem guten Verhältnis stehen.
----- Teil 2 -----
Unversöhnlicher sind schon die Positionen zur Sozialpolitik. Der sozialdemokratisch-populistische Flügel will eine "bedingungslose Grundsicherung" einführen, die wie gehabt auf der Spaltung der Lohnabhängigen in "Bedürftige" und "Nicht-Bedürftigte" beruht. Teile und Herrsche.
Als Mittel zum Zweck verklärt Sarah Wagenknecht da schon einmal den Ortholiberalismus zum Sozialismus. Populist:innen müssen es mit der Wahrheit halt nicht so genau nehmen (Gern wird auch die klassistische Keule geschwungen und behauptet, die Arbeiterklasse sei zu dumm um ein ' * ' oder einen ' : ' zu verstehen).
Dagegen hat die Mehrheit der Parteibasis der Verbürokratisierung der Lebensrealitäten den Kampf angesagt (nach parteiinternen Umfragen). Ein bedingungsloses Grundeinkommen wird wohl in nächster Zeit mit einem Basisentscheid in das Programm aufgenommen werden. So werden auch Menschen berücksichtigt, die in "Ich-AG's" oder einer Scheinselbstständigkeit arbeiten oder die aus schlechtem Gewissen oder psychischem Unvermögen heraus keine Leistungen beantragen (können). Eine Herausforderung wird es sein, ausreichende Härtefallregelungen für einen eventuellen Zusatzbedarf zu entwerfen.
Es kann sein, dass eine solche Programmänderung per Basisbeschluss dazu führen wird, dass der "Wagenknecht-Flügel" eine eigene linkspopulistische Partei gründet. Wenn man sich die derzeitige Lage der Linkspartei ansieht, ist dies vielleicht besser als krampfhaft unvermittelbare Ideologien in einer Partei zu vereinen, die wegen der jeweils anderen Seite oder aufgrund des Mangels an Diskurskultur für mehr und mehr Menschen unwählbar wird und sich bei jeder Bundestagswahl von Neuem zu allererst selbst schlägt.
----- Teil 3 -----
Unvermittelbar sind insbesondere die außenpolitischen Positionen. Auf der populistischen Seite wird in Zeiten einer globalen industriell verursachten Klimakatastrophe und globaler Fluchtbewegungen die nationale Souveränität beschworen. Die vermeinte Einheit des "Volkes", das man selbst bereits in "Bedürftige" und "Nicht-Bedürftigte" spaltet wird zur Grundlage/Grundlegung der Politik. Umso emsiger wird der Spaltungsvorwurf gegenüber dem gegnerischen linkslibertären Lager instrumentalisiert.
Libertär-sozialistisch Denkende sehen darin einen Rückschritt. Sie sehen eher eine historisch bedingte (und generell zwischenmenschliche) Verantwortung, die sich aus 500 Jahren europäischer Kolonialgeschichte und dem deutschem Vernichtungswahn speist. Das bedeutet nicht nur die Notwendigkeit einer bindenden Klimapolitik. Sie werden auch keine Partei unterstützen, die die Migrationspolitik nicht radikal verändern will und die, anstatt den Flüchtlingsdeal mit Erdogan zu kündigen darauf zielt, im Rahmen eines "solidarischen Protektionismus" (Wagenknecht) noch mehr ähnliche Abkommen abzuschließen, bei denen Staaten sich verpflichten, die eigenen Staatsbürger und Geflüchtete einzusperren.
----- Teil 4 -----
In der Gesamtschau hat ein sozialdemokratisch-linkspopulistisches Programm vom linkslibertären Standpunkt aus gesehen nur die Verbesserung der ökonomischen Lage der Mehrheit der Deutschen im globalen Wettbewerb zum Ziel. Den Kindern solle es mal besser gehen, ist das alte liberale Wachstumsmotto, das Sarah Wagenknecht beschwört und dabei nicht nur die unteren Einkommensschichten meint, sondern explizit den "Normalbürger", um den sich zu wenig gekümmert werde. Strukturelle Veränderungen der sozialen Produktionsweise stehen derweil aus.
Kritisch sieht das eine antirassistisch und antikolonialistisch sensibilisierte Linke, nicht nur wegen des ideologischen Versuchs, der AfD das Wahlvolk abzuwerden. Sie halten die populistischen Versprechungen auch kaum für realisierbar, weil die Grenzen des Wachstums erreicht sind und die Gewinne, die die deutsche Mittelschicht aus einer linken Politik ziehen kann, durch die Kosten der Energie- und Umweltkrise und die von einer linken Politik notwendig zu beabsichtigenden Beseitigung (zumindest Reduzierung) neoliberalen und neokolonialen Ausbeutungsstrukturen tendenziell verschlungen werden.
Linkspopulistischen Wachstumsversprechungen zum Trotz erwartet die ach so verachtete Mittelklasse-"Lifestylelinke"-Jugend auf den Fridays-For-Future-Demos für sich gar keine ökonomischen Verbesserungen - sie ist schon froh, wenn es ihnen nicht schlechter gehen sollte. Für strukturelle Veränderungen der sozialen Produktionsstrukturen treten dagegen viele von ihnen zumindest schon einmal mit dem Slogan "System Change not Climate Change" ein.
Schließlich: Wen allerdings werden die potentiellen Wähler:innen einer nationalistischen linkspopulistischen Parter wohl wählen, wenn sie merken, dass deren Versprechungen mit einer linken Politik nicht einlösbar sind?
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (29.04.2022 05:52).