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  • Pearphidae

mehr als 1000 Beiträge seit 14.11.2021

Schlagzeilen-Gammelware

Der Artikel enthält einen Link zu einer Veröffentlichung von Seymour Hersh sowie Zitate daraus. Beim Lesen der Veröffentlichung von Seymour Hersh, in der er über angebliche Aussagen von irgendwelchen Geheimdienstmitarbeitern berichtet und sie sogar zitiert, entsteht der Eindruck, man habe ihm im stillen Kämmerlein einzigartige und geheime Informationen übermittelt.

Allerdings kommen die Fakten der einzelnen Sätze recht bekannt vor. Bei Prüfung stellt man fest, dass die einzelnen Sätze von verschiedensten Ereignissen bzw. Berichten in solcher Weise zusammen gefügt wurden, damit sie ein negatives Gesamtbild über die Ukraine ergeben. Das nenne ich hetzerische Desinformation.

Man kann beliebig in Seymour Hershs Veröffentlichung hinein greifen. Mir sprangen die 400 Mio. Dollar ins Auge:

Eine Schätzung von Analysten der Central Intelligence Agency bezifferte die veruntreuten Gelder auf mindestens 400 Millionen Dollar im vergangenen Jahr;

Da war doch mal was im Trump-Wahlkampf 2016 gewesen?:

“Mitte Juli unterband Stabschef Mick Mulvaney mit dem Außenministerium – angeblich auf Trumps Anweisung – die Überweisung von, im Kongress überparteilich bewilligten und terminierten Militärhilfen an die Ukraine in Höhe von bis zu 400 Millionen US-Dollar, bevor es zu dem Telefongespräch zwischen Trump und Selenskyj kam.“

● https://de.wikipedia.org/wiki/Ukraine-Aff%C3%A4re

Der Nachsatz von Seymour Hersh lautet:

ein anderer Experte verglich das Ausmaß der Korruption in Kiew mit dem des Afghanistankrieges, "obwohl es in der Ukraine keine professionellen Prüfberichte geben wird.

Aha. Ein “Experte“. Soso. – Ich konnte keine solche Aussage finden.

Seymour Hersh brachte die 400 Mio. jedoch mit angeblichen Zahlungen für Dieselkäufe in Verbindung. Es ist sogar richtig, dass die Ukraine Diesel für Generatoren in Russland kaufte, als der dringend gebraucht wurde:

https://www.telepolis.de/features/Ukraine-kauft-Diesel-aus-Russland-statt-auf-Erneuerbare-zu-setzen-7492442.html?seite=all

Im Telepolis-Artikel wurde der Ukraine der Betrieb der vom Westen im Rahmen der humanitären Hilfe gelieferten Dieselgeneratoren zum Vorwurf gemacht: “Er ist höchst klimaschädlich und verpestet die ohnehin sehr schlechte Luft in der Ukraine weiter.“

Die Ukraine hat derzeit mit einer noch viel problematischeren “Luftverschmutzung“ als der aus Dieselgeneratoren zu kämpfen und man sich fragt, in welcher Realität der Autor dieses Satzes leben mag.

Wo aber ist nun eine aktuelle Verbindung zu angeblich “abgeschöpften“ 400 Mio. wie Seymour Hersh es behauptet?:

“… und dass der ukrainische Präsident und viele in seinem Gefolge ungezählte Millionen von den amerikanischen Dollars abgeschöpft haben, die für Dieselzahlungen vorgesehen waren.“

Bezieht er sich hier erneut auf die Ukraine-Affaire von Trump aus 2016?

Da sich Seymour Hersh leider konstant nur in kurzen Anrissen von angeblich geheimen Fakten ergeht und auch keine Quellen nennt, ergibt das Ganze für einen Leser eine ungenießbare Pampe vermischten Unsinns.

So behauptet Seymour Hersh auch , CIA-Direktor Wiliam Burns sei über eine angebliche Habgier Zelenskys verärgert gewesen, in der er einen Anteil eines ominösen “abgeschöpften“ Geldes eingenommen habe. Direkt darauffolgend behauptet Seymour Hersh, Burns habe Zelenskyi eine Liste mit fünfunddreißig Generälen und hohen Beamten vorgelegt, deren Korruption der CIA und anderen Mitgliedern der amerikanischen Regierung bekannt sei und dass Zelenskyi angeblich erst auf amerikanischen Druck zehn Tage später zehn Beamte von der Liste entließ.

Die erste Frage, die sich ein kritischer Leser stellt:
Wie kann ein CIA-Direktor einerseits Schmiergeld an einen Präsidenten übergeben und diesen offenbar gleichzeitig dazu auffordern Korruption zu bekämpfen?

Und was ist das für ein “abgeschöpftes“ Geld? Im Allgemeinen sind es Gewinne und Dividenden, die auf dem Kapitalmarkt “abgeschöpft“ werden. Bei der Korruption ist von Schmiergeldern die Rede.

Ich fand die Story über die Pandora-Papers, …

● https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine-analysen/342240/dokumentation-offshore-geschaefte-selenskyj-und-kolomojskyj-in-den-pandora-papers/

…, die damals auch hier in Telepolis im Oktober 2021 thematisiert wurden.

https://www.telepolis.de/features/Pandora-Leaks-Wem-tun-sie-weh-6209093.html

Die Korruptions-Liste scheint im Januar 2023 übergeben worden zu sein, wobei anzumerken ist, dass Selenskyi bereits seit Juni 2022 amerikanische Unterstützung in der Bekämpfung von Korruption in der Ukraine erhält.

● https://www.handelsblatt.com/politik/international/ukraine-selenski-entlaesst-nach-korruptionsvorwuerfen-zahlreiche-regierungsmitglieder/28941528.html

● https://www.tagesspiegel.de/internationales/korruption-in-der-ukraine-kiew-bekommt-schutzenhilfe-aus-washington-9291344.html

Es liegen also mehr als 2 Jahre zwischen den beiden Ereignissen, die von Seymour Hersh in einer Weise aufbereitet wurden, die den falschen Eindruck erweckt, als hätten sie gleichzeitig stattgefunden. Und die Geheimdienstmitarbeiter existieren tatsächlich, bloß haben die nicht exklusiv mit ihm gesprochen, sondern er hatte seine Informationen vermutlich aus den jeweiligen Artikeln der Mainstreammedien entnommen.

Herr Seymour Hersh hat hier ganz offensichtlich nur alte Schlagzeilen aufgewärmt serviert. Und wer stürzte sich auf diese Gammelware?

Herr Bernd Müller von telepolis.de
Herr Thomas Röper von anti-spiegel.ru
Herr Roger Köppel von weltwoche.ch
Herr Stefan Beig von exxpress.at
Unbekannt von investing.com

Den West-Mainstream-Qualitäts-Medien ist diese “Sensation“ nicht einmal eine Anmerkung wert.

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