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65 Beiträge seit 31.01.2000

Deutschlands Gestaltungsanspruch in Europa gefährdet

   cbzh2 schrieb am 13. November 2001 11:14

>    dato schrieb am 13. November 2001 10:06

> > Leider kann auch ich dies nicht in der deutschen Politik
> erkennen.

> Ja, das kann ich nur unterstreichen! Aber...

Kommt auf die Sichtweise an, wenn über den Tellerrand hinaus geschaut
wird, erkennt der ein oder andere vielleicht doch, dass in einer
globalisierten Welt (wie immer man dazu auch stehen mag) die
Aussenpolitik einer industrialisierten Demokratie wesentliche
Weichenstellungen mit innen- und wirtschaftspolitischer Wirkung
auslösen kann.

Da realistische Alternativen sehr begrenzt sind (Metapher: deutscher
Schupo nach Khandahar), bleibt im Effekt nur "dieses und jenes nicht
mit uns"; genau diese
"Wenn-man-uns-nicht-sieht-wird-man-uns-hoffentlich-auch-nichts-tun"-Pol
itik wird Deutschland auf lange Sicht weltpolitisch isolieren, sodass
uns jegliche Einflussmöglichkeiten für ethisches Handeln (nach
deutschem Verständnis) genommen sind. [Im Grunde vergleichbar dem
"Grünen Dilemma", sich möglicherweise "treu zu bleiben" unter dem
Risiko durch Abmeldung von der Macht die Welt zu verschlechtern.]
 

[...]

> Ich glaube nicht, dass es um solche Dinge geht bei dem, was
> Schröder
> aktuell so energisch und über alle internen Widerstände hinweg
> versucht! Ich teile da die Ansicht von Oskar Lafontaine, der das
> deutsche Gehabe schlicht und einfach als "Wichtigtuerei"
> bezeichnet.

Oscar ist in der Partei wegen seiner erbärmlichen Verabschiedung aus
der Verantwortung unwiderruflich abgemeldet, und steht Gerhard in
Punkto "Wichtigtuerei" in nichts nach. Dass er die vermeintlich
schweigsame Mehrheit (die doch wohl eher eine Minderheit ist) just
immer in den Momenten lautstark artikuliert, in denen er dem Kanzler
und einstigen Konkurrenten ungefährdet (da moralisch gerechtfertigt) am
heftigsten gegen den Bug fahren kann, ist zur Bewertung jedem selbst
überlassen. Ebenso die Aufrichtigkeit seiner Äußerungen.

> Oder anders gesagt: Es geht offenbar darum, sich derart bei den
> Amerikanern anzubiedern, dass die dann z.B. Deutschland einen
> ständigen
> Sitz um UNO-Sicherheitsrat zugestehen oder so was - eben weil
> Deutschland auf einmal jetzt so "wichtig" geworden ist.

Der amerikafeindliche Unterton zeugt von politischer Unerwachsenheit. 
Selbstverständlich ist Amerika nicht die Wiege des Guten und Vieles
lässt sich kritisieren (ist ggf. sogar abzulehnen), dennoch ist für
einen Sitz im Sicherheitsrat nicht das Wohlwollen der USA maßgebend.

Ein Stimmrecht im wichtigsten Sicherheitsgremium der Welt ist ein Ziel,
an dessen Erreichung jeder der den Anspruch hat, die Weltpolitik
positiv beeinflussen zu wollen, ein essentielles Interesse haben MUSS.


> Und daneben besteht sicher die heimliche Hoffnung, dass die
> Amerikaner
> die angebotene militärische Hilfe überhaupt nicht anfordern werden
> - denn was um Himmels willen sollte Schröder denn dann tun?

Den Marschbefehl erteilen, was sonst? 

Solchen infantilen Unterstellungen kann eigentlich nur noch mit
Zynismus entgegnet werden: Ist das Dein Ernst? Einem Technokid, das
versucht Unterschriften für ein Bürgerbegehren zur Freigabe von bunten
Pillen zu sammeln, würde ich das ja noch abnehmen, aber wer wirklich
politisch interessiert ist, muss die Fakten zur Kenntnis nehmen: hier
steigt in der Konsequenz die Arbeitslosigkeit, wenn in New York ein
Flugzeug abstürzt. Das sind Faktoren, die ein Bundeskanzler auch in
seine Überlegungen einzubeziehen hat, für heimliche Hoffnungen ist da
wenig Raum. Und das ist nur ein Beispiel geopolitischer Zusammenhänge
jenseits der Statistik.

So zynisch es klingen mag, durch die Bombardierung sind weniger
unschuldige Zivilisten umgekommen, als durch die Taliban in der
gleichen Zeit (direkt oder indirekt) verstorben wären. Ebenso sind
durch die kontrollierbaren Korridore nun erheblich mehr Hilfsgüter ins
Land zu bringen als vor Beginn der Militäroperationen, in der
Konsequenz werden Hunderttausende weniger sterben, als Mitte des Jahres
von vielen Hilfsorganisationen prognostiziert. Für einen wirklichen
Pazifisten keine annehmbare Rechtfertigung, dennoch ein unwiderlegbares
Argument für die Sinnhaftigkeit präventiven Handelns.
 
Schröder weiss genau was er tut - und was in gegebener Lage zu tun sein
wird. Es passt m.E. nicht zusammen, Angst zu haben, sich in den
Freienflieger zu setzen, aber "den Amerikanern" den Kampf für die
Freiheit (in jeglicher Ausprägung) abzusprechen; die Verwechslung von
Ursache und Wirkung ist vielleicht ein adäquates Mittel mit der eigenen
Sicht auf komplexe Bedrohungen umzugehen, die Projektion der eigenen
Hilflosigkeit auf die regierenden Politiker simplifiziert aber in
unzulässiger Weise.


> Eher kann man sich ja vorstellen, dass die auch in Afghanistan ein
> Stück weit das Kosovo-Modell vor Augen haben: Die Amis schmeissen
> zuerst die Bomben und den "Verbündeten" (sprich: den Europäern)
> überlässt man dann die Aufräumarbeit (und so weit möglich auch die
> Folgekosten...): Da können sie dann ja "humanitär" wirken, so viel
> sie wollen...
>  

Manche humanitären Aufräumarbeiten sind schlichtweg nicht notwendig,
wenn frühzeitig entschlossen gehandelt wird; dazu scheinen derzeit nur
Wenige in der Lage zu sein, u.a. "die Amerikaner".
Die Kinder der ersten in Bosnien vergewaltigten Frauen dürften jetzt
ungefähr in dem Alter sein, da sie selbst eine Waffe in die Hand nehmen
können. In der Region (und nicht nur dort) werden sich fast alle ein
Vorgehen ala Kosovo gewünscht haben. Kopf in den Sand stecken hilft
vielleicht dem Naiven besser zu schlafen, die Opfer zögerlicher
Politik, die Angst vor der "militärischen Option" hat, werden sich
zurecht abwenden.

Eines sollte sich jeder Kritiker der anstehenden Massnahmen klar
machen: Ohne Führungsanspruch für Europa, wird die Macht überregionale
politische Entscheidungen durchzusetzen nicht gegeben sein. Wer sich
nicht kümmert, wird irgendwann nicht mehr gefragt. Und "Kümmern" hat
sicherheitspolitisch in unserer realen Welt auch eine militärische
Komponente. 

Islamistischer Terror beabsichtigt die Trennung der Kulturen, um freie
Hand bei der Transformation letzlich aller islamischen Länder in
Gottesstaaten, also der Installation mittelalterlicher, totalitärer
Regime. Wer immer amerikanischen (Sub-)Kulturexport damit vergleichen
will, soll doch gerne in derartigen Nachbarschaften Leben, die meisten
Muslime wollen dies nicht und mit ihnen die Mehrheit verantwortlich
denkender Menschen in der Welt.

Der Wert von Freiheit ist schwer zu ermessen, wenn sie geschenkt wird.
Wem der Preis zu hoch ist, wird am Ende teuer bezahlen, zu teuer.


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