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  • archenoe

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Re: Der Bürger ahnt die Abwesenheit von etwas, das es nie gab

Karyptis schrieb am 24.05.2023 07:47:

Wenn man z.B. Aristoteles fragt dann ist Demokratie ausschließlich die Abstimmung des Volkes über alle Sachfragen und vor allem über alle Gesetze. Das Volk kann aus praktischen Gründen freiwillig, vorübergehend und jederzeit widerruflich die Abstimmungen an ein Gremium delegieren. Diese Entscheidungen können aber jederzeit durch Volksabstimmungen revidiert, korrigiert oder auch bestätigt werden. Die Schweiz hat ein System, das dem nahe kommt und das sehr gut funktioniert und nachweist, dass Demokratie auch für moderne, große Staaten funktioniert.

Für andere Systeme gibt es andere Bezeichnungen, z.B. Parlamentarismus. Hier entscheidet ein Gremium ohne jede Kontrollmöglichkeit oder Korrekturmöglichkeit der Bevölkerung. Selbst die indirekten Einflussmöglichleiten auf das Gremium durch Wahlen sind in der Praxis minimal, da schon die Kandidatenauswahl engmaschigen Kaderprozessen unterliegt. Parlamentarismus ist eine Einladung zu Korruption, da wenige über das Geld der vielen entscheiden und nur wenige bestochen werden müssen. Deutschland hat ein solches System.

Den Parlamentarismus als „repräsentative Demokratie“ zu bezeichnen ist auf gleich mehreren Ebenen falsch. Es ist keine Demokratie, da das Volk überhaupt nicht an Entscheidungen beteiligt wird, auch nicht indirekt über Wahlen. Denn trotz der Wahl muss sich der Kandidat weder an seine Ankündigungen halten noch an irgendein Mandat, sondern darf machen was er will. Es ist wie wenn man einen Fuchs einen „landlebenden Fisch“ nennt. Es hat mit Demokratie einfach nichts zu tun.

Es ist auch nicht „repräsentativ“ in dem Sinne, dass das Parlament ein repräsentativer Querschnitt durch die Bevölkerung wäre, eine Stichprobe, die Rückschlüsse auf den Willen der Gesamtheit zuließe. Die Zusammensetzung eines Parlaments ist in keiner Weise repräsentativ. Stattdessen sind einige Eigenarten dort massiv überrepräsentiert. Andere Gruppen sind gar nicht repräsentiert. Der Begriff „repräsentative Demokratie“ ist einfach nur Etikettenschwindel, mit dem Ziel, vom guten Ruf der Demokratie zu profitieren.

An dieser Stelle sei angemerkt, dass die reine Bezeichnung eines System noch keine Aussage darüber macht, ob ein System gut oder schlecht ist, ob es für ein konkretes Volk das geeignete oder richtige System ist. Es sollte nur sachlich korrekt bezeichnet werden.

Denn sonst passiert das was in der im Artikel thematisierten Umfrage passiert: Die Menschen erkennen oder wenigstens erahnen sie es, dass das System, das sie täglich erleben nicht zu der Bezeichnung passt, die es in Anspruch nimmt. In Deutschland wird ein System als Demokratie bezeichnet, das keine Demokratie ist sondern ein Parlamentarismus (Oligarchie). Und die Menschen nehmen völlig korrekt die typischen Eigenschaften der Oligarchie wahr (Missachtung des Mehrheitswillens, gemeinwohlschädliche Entscheidungen, Untreue, Korruption, Vetternwirtschaft, etc.) und stellen fest, dass das nicht zu Ruf und Anspruch der Demokratie passt.

Angesichts der unwidersprochenen Behauptung, das sei trotzdem eine Demokratie kommen sie ganz natürlich zu der falschen Annahme, dass die Demokratie in Gefahr sei.
Aber natürlich kann nichts in Gefahr sein, das nie vorhanden war.
Die Menschen nehmen einfach nur die Abwesenheit von Demokratie wahr.

Es muss ihnen also einfach nur mal einer erklären, dass wir halt „Neusprech“ haben und dass „Krieg“ heute „Frieden“ ist und dass eben „Parlamentarismus“ heute „Demokratie“ heißt, das aber mit Demokratie und demokratischen Ansprüchen nichts zu tun hat.

Das, was Sie als "Parlamentarismus (Oligarchie)" bezeichnen, ist exakt das, was parlamentarisch-repräsentative Demokratie (= bürgerliche Demokratie) ausmacht. Ihr Begriff ist ungenauer als der von Ihnen kritisierte.

Ich vermute, Ihnen schwebt vor, ein politisches System nur dann als Demokratie bezeichnen zu wollen, wenn es direktere Formen des Wählereinflusses beinhaltet. Das ist, wie man an der Schweiz zeigen kann, immerhin eine Erweiterung oder Ergänzung der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie, aber keineswegs ihre Überwindung, die übrigens in Deutschland per Grundgesetz massiv erschwert bzw. verboten ist.
https://katapult-magazin.de/de/artikel/direkte-demokratie-in-der-schweiz-ein-vorbild-fuer-deutschland

Wenn Sie nicht über die Abschaffung des Kapitalismus reden und keine rätedemokratischen Vorstellungen entwickeln wollen (imperatives Mandat, auf Zeit gewählte Räte in Ptoduktions-, Distributions- und Verwaltungsbetrieben, Bildungsstätten, Wohnvierteln etc.) werden Sie immer bei einer Spielart von repräsentativer Herrschaft landen (parlamentarisch-repräsentativ, präsidial-repräsentativ, parlamentarisch-repräsentativ mit plebiszitären Elementen, zentralistisch, föderalistisch usw.).

Sie konfrontieren die bürgerliche Demokratie mit ihrer Unfähigkeit (immerhin!), die eigenen Zielvorstellungen von Freiheit und Gleichheit durchsetzen zu können, ohne die bürgerliche Demokratie als Konstrukt der Eigentümerklasse und der von dieser Klasse abhängigen Eliten überwinden zu wollen. Stattdessen wollen Sie der bürgerlichen Herrschaftsform einen kritisch gedachten Begriff an Stelle des Demokratiebegriffs anheften, der aber ungenauer bezeichnet, was "Sache" ist.

Wozu soll das führen?

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