Es ist ja nicht nur die Bahn, bei der man auf "unerwartete Hindernisse" trifft bei der Umsetzung von Projekten aller Art. Die Digitalisierung - man mag zu ihr stehen wie man will - ist an sich kein Hexenwerk, möchte man meinen.
Jeder Modelleisenbahner mit einer hinreichend komplexen Anlage kennt das: man möchte die tolle Anlage mit dem riesigen Rangierbahnhof, mehreren kleineren Bahnhöfen, Schattenbahnhöfen zur Simulation von Fahrten in ferne Städte etc irgendwann vielleicht automatisieren, um regulären Bahnbetrieb nach Fahrplan zu simulieren. Dazu bedient man sich allerlei moderner Technik, aber Puristen setzen vielleicht auf gute alte 74er-Bausteine und einen Mikrokontroller usw usf.
Neben solcherlei Dinge muss man aber auch ein, zwei Sachen aus dem realen Bahnalltag übernehmen - zum Beispiel "Streckenabschnitte". Die Fahrdienstleister im Stellwerk müssen sicherstellen, dass nur Züge auf freigegebenen Strecken fahren dürfen. Ein Streckenabschnitt wird dabei i.d.R. durch begrenzende Elemente definiert, z.B. ein Signal oder eine Weiche (die i.d.R. auch ein Signal darstellt).
In einem Bahnhof, der keinerlei baulichen Maßnahmen unterliegt und bei dem strikt nach Fahrplan gearbeitet wird, ist es selten ein Problem, einem planmäßig eintreffenden Zug das planmäßige Gleis zuzuweisen, damit der dann am richtigen Bahnsteig hält. Spannend wird's, wenn Gleise aufgrund baulicher Maßnahmen oder einer Panne nicht befahrbar sind, dann muss umsortiert werden, was ggf. auch Wartezeiten vor dem Bahnhof bedeuten kann.
In allen Fällen muss der Fahrdienstleiter sicherstellen, dass kein Zug auf einen nicht freigegebenen Streckenabschnitt fährt - denn dort könnte sich ja ein anderer Zug befinden. Wer sich also fragt, warum der Zug 5 Minuten vor dem Bahnhof stehenbleibt, dann, weil gerade kein Streckenabschnitt verfügbar ist, d.h. kein Gleis ist frei. Erschwerend kommt hinzu, dass nicht jeder Zug auf jedem Gleis fahren darf, d.h. z.B. Regionalzüge werden nicht einfach auf ein Gleis gefahren, was ausschließlich von ICE verwendet wird.
Wie auch immer: bei der Modelleisenbahn ist das relativ einfach: die Streckenabschnitte werden mit an die Signale gekoppelten Unterbrechern definiert, so dass nur der Streckenabschnitt unter Strom (= Signal) gesetzt wird, auf dem gerade ein Zug fahren darf, nicht aber jene Abschnitte, die nicht freigegeben sind. Das kann man dann im Microcontroller so abbilden, dass Signalanzeige & freigegebene Abschnitte zueinander passen - und das ganze eben auch noch nach Fahrplan. Dann fahren die Züge vollautomatisch. Wer mag, kann auch noch Störungen simulieren, so dass Alternativen im Fahrplan vorgesehen werden müssen - es soll ja nicht zu langweilig werden.
Nun machen Modelleisenbahner das obige schon seit 30 Jahren oder so. Vor 25 Jahren hab ich meine Ausbildung begonnen (im Elektronikbereich) und hab während einer Exkursion auch eine solche automatisierte Anlage gesehen. Schon damals war das möglich. Noch früher habe ich bei der Parkeisenbahn Dresden als Kind & Jugendlicher meinen Dienst versehen, so dass ich zumindest ein bisschen Ahnung hab vom Bahnbetrieb, wenn auch nur als Laie und im kleineren Maßstab.
In den Wintermonaten haben wir an einer Anlage Spurweite 0 geübt, die genau wie beschrieben in Streckenabschnitte aufgeteilt worden ist. Die Posten sind schnell verteilt: es gab einige Bahnhöfe, dabei wurde jeder Bahnhof von einem Paar "Fahrdienstleitern" betrieben. Sollte ein Zug von A nach B, musste A bei B fragen, ob die Strecke frei ist. B gab dann die Antwort, je nachdem, ob die Strecke frei war oder nicht. Damit da aber nicht alle Jugendliche durcheinander redeten, wurde das per Signalanzeige gemacht, d.h. der FDL A drückte einen Knopf und die Anzeige bei FDL B schaltete um. Der gab dann wahlweise ein Signal zurück (= frei) oder eben nicht (= nicht frei). Und erst wenn die Freigabe erteilt wurde, wurde der Streckenabschnitt unter Strom gesetzt und die Lokführer (ebenfalls Parkeisenbahner) konnten mit ihrem verstellbaren Trafo ihren Zug losfahren lassen.
Die Anlage stammt aus den 1960ern, wenn ich's recht im Kopf behalten habe, d.h. alles, was da drin für Signalverarbeitung & co zur Verfügung stand, war relaisbasiert und reine Analogtechnik, nichts davon war digital. Aber die Art und Weise, wie die Anlage organisiert war, lässt sich ohne weiteres digitalisieren - wenn man denn das will. Denn der Trainingseffekt geht ja verloren, wenn der Computer die Aufgaben der Parkeisenbahner übernimmt.
Sooooo.
Nun ist ja die Deutsche Bahn ein bisschen größer. Aber die von mir genannten Beispiele orientieren sich allesamt am großen Vorbild und versuchen es möglichst originalgetreu abzubilden. Das bedeutet aber auch: wenn etwas im Kleinen funktioniert, müsste es auch auf's Große übertragbar sein, wenn das Große das Vorbild für das Kleine ist. Oder seh' ich das falsch?
Das größte Problem dürfte sein, dass die Bahn kein monolithisches Gebilde ist. Signalanlagen sind nicht nur unterschiedlich alt, sie sind auch unterschiedliche Systeme an sich. Es gibt sie vielleicht noch, die rein manuell betriebenen Nebenstreckenbahnhöfe, bei denen der Wärter noch die Weiche von Hand stellen muss oder das Signal setzt. Andere, modernere Bahnhöfe haben Lichtsignale und motorisierte Weichen, so dass aus dem Stellwerk heraus gearbeitet werden kann. Technik aus den 1920ern bis 2020ern arbeitet also Hand in Hand. Und das muss eben berücksichtigt werden bei der Digitalisierung.
Wenn man das aber weiß, dann kann man doch den Ist-Zustand definieren (= heute) und den Soll-Zustand auch (= morgen). Der Arbeitsaufwand ergibt sich aus der Differenz beider Zustände. Da man davon ausgehen muss, dass es immer nicht berücksichtigte Einflüsse gibt, muss auch immer von MINIMUM ausgegangen werden, was geleistet werden muss. Es entstehen weitere Kosten und Aufwendungen durch unberücksichtigte Themen oder Störgrößen. Die kann man aber mit einer Chancen-Risiko-Analyse versuchen im Vorfeld zu antizipieren, außerdem werden Zeitrahmen und Budget mit Spielraum versehen.
Bei einem hinreichend komplexen Thema wie der Bahn-Digitalisierung sollte man es machen wie die Mathematiker: das scheinbar komplexe Problem wird in kleinere, einfachere Teilprobleme zerlegt. Idealerweise wird so zerlegt, dass die technologischen Unterschiede bei den verschiedenen Bahnhöfen berücksichtigt werden und für jeden Bahnhof individuelle Ist/Soll-Zustände erfasst werden. Daraus lässt sich dann eben wieder der Arbeitsaufwand ermitteln, allerdings eben nur für den einen Bahnhof.
Nun sollte im Vorfeld klar sein, dass der Soll-Zustand (die Digitalisierungt) für das komplette System "Deutsche Bahn" gleich sein sollte, egal welcher Bereich angeschaut wird und egal welcher Bahnhof sich in welchem Ist-Zustand befindet. Wenn das aber nicht berücksichtigt wird, weil man wieder Kosten und Mühen scheut oder mit der Gießkanne Geld verteilt statt individuell die Aufwendungen je Bahnhof zu ermitteln, erhält man nicht die gleichen Sollzustände. Damit ist aber auch keine Kompatibilität gegeben.
Daher die Frage, die mir in den Sinn kommt: wenn Hobbyeisenbahner seit 30 Jahren ihre Anlagen automatisieren und damit quasi "digitalisieren", sind unsere Entscheidungsträger beim großen Vorbild nicht fähig, ein vernünftiges Projektmanagement zu betreiben nach o.g. Voraussetzungen?
Wenn mir kleinem Licht der Elefant im Raum auffällt, wieso leisten wir uns teure und offenkundig blinde ranghohe Entscheidungsträger?