Ansicht umschalten
Avatar von Nützy
  • Nützy

mehr als 1000 Beiträge seit 11.06.2010

Eine Beleidigung der Wähler?

In einer Demokratie gibt es dieses Ritual, dass man alle 2, 4 oder 5 Jahre, in manchen ganz dolle demokratischen Staaten habe ich gehört, sollen es sogar 10 sein, mal irgendwo irgendwas ankreuzt.
Dieses scheinbar irrationale Ritual wird als Wählen bezeichnet und diente vor Jahrhunderte mal dazu, dass die Bürger Vertreter in eine Versammlung wählen, an der sie selbst nicht teilnehmen können.
Parlamente, Stadträte oder Regierungen sind historisch zwar anders zu Stande gekommen, haben aber das gemeinsam, dass das Volk, also die Beherrschten, repräsentieren sollen. Das mag man für einen Mythos halten, ist aber die offizielle Begründung.

Doch anscheinend sind all diese Rituale und Mythen jetzt einer neuen Aufklärung zum Opfer gefallen, denn nun scheinen die demokratisch gewählten Politiker - die Leute, die immer so Stolz darauf sind, Demokraten zu sein - zu der Schlussfolgerung gekommen zu sein, sie würden das Volk nicht so sehr repräsentieren wie eine Gruppe von nicht-gewählten, zufällig ausgewählten Bürgern.

Angesichts dessen könnte man mal die Frage stellen: Was ist schief gelaufen? Wieso fühlen selbst die Berufspolitiker, dass sie die Bürger nicht mehr so gut vertreten?
Oder liegt es einfach daran, dass solche soliden statistisch-demographischen Kenntnisse wie die über Zufallsstichproben, repräsentative Auswahl usw. den Vordenkern der Aufklärung einfach nicht zur Verfügung standen?
Zudem die Entwürfe und Diskussionsvorschläge der Aufklärung zumindest für heutiges Demokratieverständnis ebenfalls befremdlich wirken können.

Falls man nun wirklich Wert darauf legt, zu herrschen als Repräsentant der Leute, die man beherrscht, dann müsste man es eigentlich als eine Systemkrise empfinden, dieses Verständnis in Frage gestellt zu sehen.

Es ist natürlich ein Problem, wenn ein Haufen von Juristen Gesetze macht für Juristen. Am Ende ist es nämlich auch das juristisch ungeschulte Volk, das diese Gesetze einhalten muss.

Dennoch bin ich kein Freund von Volksentscheiden. Für diese braucht man ein reifes, zurückhaltendes Bürgertum, sonst ist die Gefahr zu groß, dass irgendwelche Populisten kommen und das für ihre Vorhaben ausnutzen. Wenn etwa in der Schweiz über eine Begrenzung der Einkommen abgestimmt wird, dann kann man davon ausgehen, dass die Schweizer sich dagegen entscheiden.
Doch was würde in Deutschland passieren?

So ein Bürgerrat an sich wäre für bestimmte Fragen, etwa Abgeordnetendiäten oder Wahlrechtsreformen, eine interessante Überlegung. Doch scheint es aufzuzeigen, dass die Sachen mit der Repräsentanz nicht mehr richtig funktioniert, wenn man auf solche Mittel zuflucht nehmen will. Was ist nun schief gelaufen, müsste man fragen.

Bewerten
- +
Ansicht umschalten