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  • Stephan Schleim

mehr als 1000 Beiträge seit 27.01.2005

An der Börse würde ich keinen Altruismus erwarten – Ich antworte dann mal hier

Eine schöne Überraschung, so am Morgen. Da die TP-Redaktion noch andere Dinge zu tun hat, antworte ich dann mal hier:

(1) Robinhood betreibt schlicht gutes Marketing, als "Broker der kleinen Leute". Die Firma musste gerade wegen des geplanten Börsengangs Informationen offenlegen. 81% der Einkünfte werden mit den Transaktionen erzielt. Zudem scheint die Firma Daten ihrer Kunden an Hochfrequenztrader zu verkaufen, weswegen die amerikanische Finanzbehörde SEC ermittelt [1]. Robinhood hat auch gerade (30.6.) eine Strafe in Höhe von $70 Millionen bezahlt, natürlich ohne eine Schuld einzugestehen.

Da die Kunden nicht direkt für die Transaktionen zahlen, müssen sie eben indirekt bezahlen. Robinhood erhält Prämien von den Handelsplätzen, denen die Kleinanleger zugespielt werden (wie es auch Trade Republic beschreibt). Das ist eben die Arbeit eines (Börsen-)Maklers. Und die Handelsplätze zahlen das nun einmal aus dem Spread (Unterschied zwischen An- und Verkaufspreis), wie ich es beschrieben habe. "Gratis" ist hier nichts.

Zudem sollte man sich überlegen, was die Hochfrequenztrader mit den Informationen machen. Die sind viel schneller als jeder Kleinanleger. Wahrscheinlich funktioniert das u.a. so, dass KI-Algorithmen Trends erkennen, im Falle eines Ansturms selbst Aktien kaufen oder verkaufen – und so die Kleinanleger (etwas) schlechtere Preise bekommen.

Sie zahlen also so oder so, geschicktes Marketing verbirgt das allenfalls. Auch Robinhood macht insgesamt die Reichen reicher und die Armen ärmer, abgesehen vielleicht von ein paar Ausnahmen, die sehr früh mitmachen, bevor eine Lawine ins Rollen gerät (bsp. GameStop). Das Stützt aber auch Kreißens Hauptpunkt: Die Neobroker demokratisieren den Aktienbesitz keinesfalls. Sie erzeugen aber Kostendruck auf die alten Broker. Das habe ich ja schon in meinem Artikel eingeräumt.

(2) Kreiß übersah übrigens, dass die Aktien des S&P 500 vom Oktober 2008 bis August 2009 noch teurer waren als jetzt, gemessen an seinem eigenen Maßstab [2]. Man sollte auch berücksichtigen, dass das nur für die Aktien (großer) US-Firmen gilt. Asiatische und europäische Aktien sind nicht so teuer [3].

Wärend Kreiß vielleicht insgesamt vom Aktienhandel abraten würde – er schrieb ja nun selbst, er habe eine pessimistische Sicht –, wäre meine Empfehlung: Wer in die heiß gelaufenen US-Aktien investiert hat (ich habe übrigens drei S&P-Werte in meinem Portfolio: Cisco, Pfizer und UPS), sollte überlegen, Teilgewinne zu realisieren oder wenigstens die Stopps (Ausstiegsmarken) nachzuziehen. Der S&P 500 wird aber vor allem von den Tech-Unternehmen Amazon, Apple, Facebook, Google & Microsoft dominiert. Vielleicht korrigieren die demnächst, ja.

Es sind aber doch sehr unterschiedliche Feststellungen:

"Aktien sind zu teuer!"
"US-Aktien großer Unternehmen sind zu teuer!"
"US-Tech-Aktien großer Unternehmen sind zu teuer!"

(3) Offen bleibt die Frage, was mit dem in den Krisen gedrucktem Geld passiert. Kreiß verweist hier auf seine Bücher. Mir ist schon klar, dass man nicht alles in einem TP-Artikel diskutieren kann. Ein Argument oder Beispiel, in welche Richtung seine Gedanken gehen, wäre aber schön gewesen.

Professor Sinn erklärte das Ausbleiben der Inflation damit, dass das viele Geld in "Horten" liegt und nicht im Umlauf ist. (In Aktien, Edelmetallen, Immobilien, Obligationen, Kryptowährungen…?) Das klingt für mich plausibel. Das dürfte sich erst ändern, wenn es wieder zur Panik kommt – beim nächsten Virus, der nächsten Finanzkrise, bei einem großen terroristischen Anschlag oder Krieg? Dann sehen wir den nächsten Crash, der dann wieder mit noch mehr Geld "gelöst" wird?

(4) Das Dilemma für die "kleinen Leute" scheint mir: Die meisten werden mit Wertpapierhandel nicht Millionäre werden; ein kleines Stück vom Kuchen können sie aber schon abbekommen. Das System macht die Reichen reicher. Nicht mitspielen ändert daran aber leider auch nichts.

[1] https://www.wsj.com/articles/robinhood-faces-sec-probe-related-to-deals-with-high-speed-traders-11599074891

[2] https://www.multpl.com/s-p-500-pe-ratio aber siehe auch https://www.macrotrends.net/2577/sp-500-pe-ratio-price-to-earnings-chart

[3] siehe z.B. https://siblisresearch.com/data/cape-ratios-by-country/

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