Ich denke die im Artikel zitierte Studie verwechselt Ursache und Wirkung. Es dürfte unstrittig sein, dass die westlich-demokratischen Systeme wie wir sie kennen inzwischen unter Druck geraten sind. Ich zweifle allerdings an, das der Populismus (der übrigens nicht nur "rechts" auftritt) dafür die Ursache darstellt. Vielmehr ist er ein Symptom.
Diese Fehleinschätzung beginnt für die europäischen Demokratien IMHO mit ihrem "Gründungsmythos". Der Erfolg (übrigens auch der Exporterfolg) dieses politischen Systems lag weniger in seiner direkten Attraktivität für die partizipierenden Bürger, als in der Prosperität, die mit diesem neuen politischen System einherging. Hierfür ist (West-)deutschland ein Paradebeispiel. Das Wirtschaftswunder wurde in den Köpfen der Menschen direkt mit dem neuen politischen System verknüpft. Palamentarische Demokratie wurde mit Wohlstand und Wachstum identifiziert. Im Umkehrschluss wurden nicht-demokratische Systeme mit Armut und Unfreiheit in Verbindung gebracht. In Zeiten von Vollbeschäftigung, Wachstum, steigender Lebenserwartung und jährlichen Lohnsteigerungen von 8% brauche ich niemanden von einem politischen System zu überzeugen. Es spricht für sich selbst. Historisch war das IMHO auch ein wesentlicher Faktor für das Scheitern der Weimarer Republik.
Die parlamentarischen Demokratien waren dabei auch eng mit dem Wirtschaftsmodell des Kapitalismus bzw. der freien und sozialen Marktwirtschaft verknüpft. Sie schafften die notwendige Freiheit für "Unternehmer" sicherten jedoch gleichzeitig den rechtlichen Rahmen ab. Es war das Modell des Nachtwächterstaates, wie es heute noch in Ländern wie UK propagiert wird. In Deutschland noch mit dem Sondermodell der "sozialen Marktwirtschaft" verknüpft. Ein Wirtschaftssystem bedingt immer auch ein politisches System und umgekehrt.
Für viele Menschen in westlichen Demokratien ist das Leben in den vergangenen Jahren eben nicht einfacher geworden. Die Hoffnung auf Wohlstand für sich selbst und die eigenen Kinder beginnt zu schwinden. In den Großstädten wird der Traum vom den eigenen vier Wänden für viele schlicht und ergreifend nicht mehr realisierbar sein. In etlichen anderen Demokratien ist Bildung inzwischen eine Frage des notwendigen Geldes.
Die Demokratien können ihr früheres Wohlstandsversprechen nicht mehr einlösen.
Daneben waren und sind Demokratien natürlich zu einem gewissen Teil gelenkt. Man braucht sich nur die Konzentration im privaten Mediensektor anzusehen oder die mit politischen Vertretern durchsetzten Gremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Menschen können nunmal nur (Wahl-)entscheidungen auf der Grundlage des ihnen durch die Medien vermittelten Wissens treffen. Man braucht sich hier nichts vormachen, die Demokratien wurden dadurch auch "stabil" gehalten und der Diskussionskorridor eingeschränkt. Früher konnte man relativ einfach die notwendigen Narritive ("Deutungshoheit") zur Steuerung der Bevölkerung in einflussreichen Medien durchsetzen. In (Neuland-)zeiten von Videoplattformen, sozialen Netzwerken und privaten Blogs kommt aber dieses Instrument zwangsläufig an seine Grenzen. Unmut lässt sich nicht mehr auf handverlesene Leserbriefe reduzieren. In der Konsequenz wird deshalb versucht an dieser Front die bestehenden Freiheitsrechte zurückzubauen. Damit treten die Demokratien aber in Konflikt mit ihrem Freihheitsversprechen - dass vielleicht in dieser Form schon immer eine Illusion war.
Das im Artikel skizzierte Bild vom gewünschten mündigen Bürger ist IMHO auch falsch. Die "Mündigkeit" des Bürgers ist nur so lange akzeptiert, so lange er sich im Rahmen der bestehenden Ordnung bewegt und diese unterstützt. Demokratie wird auf einen inszinierten Scheinkonflikt zwischen wenigen (parteipolitischen) Alternativen reduziert.
Die inzwischen auftretenden populistischen Bewegungen wachsen auf dem Boden dieser Unzufriedenheit, weil sie (vermeintliche?) Alternativen aufzeigen. In prosperierenden Demokratien hätten sie nie eine Chance gehabt.
In der Tat ist das alles nicht neu. David Engels vergleicht in seinem Buch bestimmte Erscheinungen aus der Endphase der Römischen Republik mit der Situation im heutigen Europa. Natürlich ist das Buch umstritten und natürlich ist so ein Vergleich immer gefährlich. Trotzdem ist es interessant, dass der damalige Streit zwischen Popularen und Optimaten nicht wirklich im "Sieg" einer Seite mündete sondern im Ende der Republik.
Sogesehen hat der Autor mit der These von den Autokratien immerhin recht - dieser Weg steht uns auch bevor.