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  • van Grunz

mehr als 1000 Beiträge seit 27.12.2007

Nicht die Einwanderung ist das Problem

Das ist ja nicht der einzige Hinweis auf die Rückständigkeit der Partei: Sie und ihr Vorsitzender Seehofer pflegen ausgesprochen freundschaftliche Beziehungen mit dem ungarischen Autokraten Viktor Orbán sowie dem lupenreinen russischen Diktator Wladimir Putin.

Entweder habe ich mich da gerade verlesen, oder da schwappt eine gehörige Portion Ironie mit. Putin ein Diktator? Dann wäre Rußland schon längst instabil. Selbst Orbán legt die EU-Gesetze so aus, wie sie geschrieben wurden -- was natürlich nicht bedeuten soll, daß ich seine Aktionen für gut befinde. Aber irgendwelchen Leuten etwas Böses anzudichten, damit man sagen kann: "Seht her! Die CSU spricht mit Putin! Sie kann deswegen nicht ganz dicht sein!", das geht dann für meinen Geschmack doch zu weit. Anstatt den Dialog zu suchen, wird diskreditiert.

Anders als für die USA, die sich als Schmelztiegel begreifen, in dem jeder Einwanderer eine Chance bekommt, ist die Migrationsbilanz für Deutschland nicht sehr positiv. Während in den USA Zuwanderer mit einer besonderen Dynamik zur Wirtschaftskraft beitragen und die Wissensgesellschaft bereichern, profitiert Deutschland von einem großen Teil seiner Zuwanderer längst nicht so, wie es möglich wäre, weil seine Politiker sich jahrzehntelang einer pragmatischen Lösung verweigert haben.

Wenn wir ehrlich wären, dann müßten wir zugeben, daß wir Einwanderer ausbeuten, um unseren Lebensstil zu sichern. Sie bekommen oft deutlich weniger Lohn, was weithin dazu führt, daß das Lohnniveau insgesamt sinkt. Doch ein passabler Anteil am Staats- wie auch Firmen-Reichtum ist essentiell, um dem demographischen Wandel entgegentreten zu können. Geld ist genug da, es ist nur falsch verteilt. Deutschland käme selbst mit der Hälfte seiner Einwohner bei 80% Rentnern aus -- wenn die verbleibenden Menschen, welche arbeiten gehen, ordentlich Kohle im Säckel hätten, damit sie die Rentenkasse füllen können.

Die Kernfrage ist also nicht, wie wir Demographie aufhalten können, sondern wie wir die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen ändern, damit es allen Menschen gut geht -- mit oder ohne Zuwanderungszwang. Wie man sich darauf verbeißen kann, sowohl als Partei wie auch als Journalist, das erschließt sich mir nicht. Das klingt eher nach einer Nebelkerze und Populismus.

Umgekehrt wird natürlich auch ein Schuh daraus:
Deutschland beteiligt sich aktiv am globalen Kriegsgeschehen und sorgt noch dafür, daß Zwangszuwanderungen losgetreten werden, nennt sich Flüchtlinge. Da reiben sich die DAX-Vorstandsvorsitzenden schon die Hände ob so vieler billigster Arbeitskräfte, mit denen man das hiesige Lohnniveau noch einmal drücken kann (entsprechende Forderungen nach Ausnahmen vom Mindestlohn für Flüchtlinge wurden bereits laut). Schon heute bezahlen mitunter in Deutschland ansässige Weltkonzerne ihre Facharbeiter so schlecht, daß sie sie nicht lange halten können.

So verständigte sich Ende 1981 die sozialliberale Bundesregierung unter Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher zu dem Grundsatz: "Es besteht Einigkeit, dass die Bundesrepublik Deutschland kein Einwanderungsland ist und auch nicht werden soll. Das Kabinett ist sich einig, dass für alle Ausländer außerhalb der EG ein weiterer Zuzug unter Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten verhindert werden soll."

Was will man schon erwarten, wenn man hochrangige Nazi-Funktionäre vor dem Nürnberger Tribunal bewahrt und sie unter der Ägide der Alliierten in den Staatsdienst integriert, anstatt ihnen den Prozeß zu machen? Die braune Ideologie ist seit dem 2. Weltkrieg nie aus der deutschen Bevölkerung verschwunden. In fast Jedem steckt ein kleiner Nazi, in manchen sogar ein ganz großer. Wenn man mit linken oder gar "kommunistischen" Ideen ankommt, welche das Leben insgesamt besser machen können, wird sofort abgewunken. Da wundert es auch nicht, daß sämtliche Führungsspitzen in der Politik die gleichen Reden schwingen.

Es ist höchst einfältig und zutiefst verantwortungslos, die epochalen Probleme mit Latrinenparolen abzubügeln. Nicht weil Multi-Kulti-Begeisterung und Gutherzigkeit gegenüber Ausländern so viel edler wären. Die sind genauso verbohrt wie der dumpfe Fremdenhass.

Gutherzigkeit ist also genauso schlecht wie Fremdenhaß? Sicher gibt es Menschen, die sich in Ideologien und Parolen ergehen und nach nichts anderem mehr leben, aber deswegen die Achtung und den Respekt anderen Menschen gegenüber über den Haufen zu werfen, das ist nicht richtig.

Die Problematik des Systems "entwickelte repräsentative Demokratie" stellt sich beim Thema "demografischer Wandel und Zuwanderung" wie bei jedem anderen politischen Thema auch auf stets die gleiche Weise.

Immer dann, wenn ich "entwickelte Demokratie" oder "Entwicklungsländer" höre, dann führe ich mir instinktiv vor Augen, daß es die sogenannten "entwickelten Demokratien" sind, welche "Entwicklungsländer" erst produzieren, indem sie sie gezielt ausbeuten und mit Maßnahmen wie Subventionierungen deren Märkte gezielt am Boden halten. Selbst ein Äthiopien könnte heute eine genauso prosperierende Wirtschaft haben wie Deutschland oder die USA -- wenn man sie denn ließe. Stattdessen hält man sie mit "Freihandelsabkommen" und Schuldnerschaft am Genick am Boden, damit man sie problemlos weiter ausnutzen kann. Hinterher beschwert man sich dann natürlich über sogenannte "Wirtschaftsflüchtlinge", die nur deswegen ihr Heil im Auswandern suchen, weil es zum Essen nicht reicht -- ein Umstand, der den wenigsten Deutschen bekannt sein dürfte.

Das ist keine subjektive Entscheidung der Politiker. Die können sich die Entscheidung in die eine oder andere Richtung auch nicht aussuchen. Individuell ginge das vielleicht noch, aber die kollektiven Entscheidungsgremien haben nicht wirklich die Wahl. Ihr Lebenszweck sind Machterhalt und Machtgewinn. Das politische System stellt sie vor diese Alternative - ob sie das nun wollen oder nicht.

Das sehe ich auch so. Vor allem in der CDU/CSU gibt es ein ungeschriebenes Gesetz: mitziehen oder austreten. Es ist undenkbar, daß ein CDU-Mitglied öffentlich die Entscheidungen der Kanzlerin in Frage stellt. Wer das tut, der war mal Mitglied -- und ist seinen Posten los.

Jede politische Entscheidung hat diesen Doppelcharakter, und jede einzelne politische Entscheidung wird dadurch in ihrer Substanz verzerrt. Niemals entscheiden die Politiker und ihre Organisationen in repräsentativen Demokratien einfach nur über die Sache. Im Gegenteil, meist haben sachfremde Überlegungen einen höheren Stellenwert. Es geht stets auch um die Opportunität der Entscheidung für die Entscheidungsträger.

Völlig korrekt, sehr treffend beschrieben. Ob das Thema nun die Einwanderung, der Klimawandel oder der Terrorismus ist, sie alle werden instrumentalisiert, und zwar nicht nur von den Politikern, sondern auch von den Ökonomen. Naomi Klein etwa ist eine Meisterin ihres Faches, was Instrumentalisierungen angeht. Sie hat sich erst kürzlich wieder zu Donald Trump gemeldet. Das läßt tief blicken.

Beim Thema "Einwanderungsland" hat das über Jahrzehnte hinweg dazu geführt, dass es für die politischen Parteien immer einfacher war, sich gegen pragmatische Lösungen und für Wahlgewinne zu entscheiden.

Das wirft aber auch ein überaus bezeichendes Licht auf die Wähler...

Man kann das den einzelnen Politikern und selbst der politischen Kaste als Kollektiv gar nicht einmal zur Last legen. Sie haben diesen Zwang ja nicht erfunden. Er ist dem System des repräsentativen parlamentarischen Parteienstaats immanent.

Doch, man kann es einem Politiker zur Last legen, und zwar jedem einzelnen. Wer das Spiel mitspielt, anstatt damit beginnt, die Regeln zu ändern, der bestärkt das System nur noch weiter. Entweder bleibt man außen vor, oder man versucht sich in einer Änderung. Alles Andere ist inakzeptabel.

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