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  • Irwisch

mehr als 1000 Beiträge seit 22.03.2005

Schule als Beispiel von Demokratie-Management durch Soft-Power-Techniken

Aus dem Vortrag von Professor Mausfeld: Die Angst der Machteliten vor dem Volk – Demokratie-Management durch Soft-Power-Techniken

https://kenfm.de/rainer-mausfeld-die-angst-der-machtelite/
http://www.uni-kiel.de/psychologie/mausfeld/pubs/Mausfeld_Die_Angst_der_Machteliten_vor_dem_Volk.pdf

Seit den historischen Anfängen versuchten die jeweiligen Machteligen, Machttechniken zu entwickeln, mit denen sich unsere moralischen Sensivitäten gleichsam unterlaufen lassen, die also weniger Widerstand im Volk aktivieren. Diese Machttechniken werden heute oft als Soft Power bezeichnet. Soft Power ist das gesamte Spektrum von Techniken, die öffentliche Meinung zu manipulieren. Vermittlungsinstanzen für diese Formen der Machtausübung sind – unterstützt durch Stiftungen, Think Tanks, Elitenetzwerke und Lobbygruppen – insbesondere private und öffentliche Medien, Schulen und der gesamte Erziehungs- und Ausbildungssektor sowie die Kulturindustrie. Die Wirkungen von Soft-Power-Techniken sind für die Bevölkerung weitgehend unsichtbar; es ist also kaum mit Protesten gegen diese Formen der Indoktrination zu rechnen. Machtökonomische Gründe sprechen dafür, vorwiegend Soft Power einzusetzen und diese Techniken auf der Basis einer wissenschaftlichen Erforschung unserer kognitiven und affektiven Eigenschaften für Manipulationszwecke zu verfeinern und zu optimieren. Dies ist in den vergangenen hundert Jahren in sehr systematischer und folgenreicher Weise geschehen.

... Das Buch von Thaler – ein einflußreicher Verhaltensökonom, der u.a. US-Präsident Barack Obama beraten hat – und Sunstein – ein ebenfalls sehr einflußreicher Rechtswissenschaftler, Verfassungsrechtler und Obama-Berater – gibt einen Überblick über den Forschungsstand zu den Tücken und Fallen menschlichen Entscheidungsverhaltens. Die Kognitionsforschung hat eine Fülle von Belegen erbracht, die aufzeigen, dass
Menschen von Natur aus ihre Entscheidungen nicht auf rein rationaler Grundlage treffen. Das Buch von Thaler und Sunstein argumentiert nun, dass Menschen – und damit ist vor allem das ‚Volk‘ gemeint – nur durch eine Portion List und einen geeigneten Schubs („nudge“) dazu gebracht werden können, ‚rationale‘ Entscheidungen zu treffen und ihnen daher die Eliten – die als Eliten selbstverständlich frei von solchen natürlichen Rationalitätsbeschränkungen des Menschen sind – bei allen komplizierteren Entscheidungen einen Schubs in die ‚richtige‘ Richtung geben müssten.

Es geht also bei Soft Power letztlich um eine psychologische Kriegsführung gegen die Bevölkerung, die für die Bürger möglichst unsichtbar sein soll, indem sie natürliche ‚Schwachstellen‘ des menschlichen Geistes ausnutzt. Aus der Perspektive der Volkes ist das Problem nun, dass die herrschenden Eliten auf das in Universitäten und Think Tanks angesammelte Wissen über diese Schwachstellen zugreifen können und daher über sehr viel mehr Wissen über uns, über unsere natürlichen Bedürfnisse, unsere natürlichen Neigungen und unsere ‚Schwachstellen‘ für eine Manipulierbarkeit verfügen als wir selbst. Da uns diese Schwachstellen selbst nicht bewußt sind, haben wir kaum eine Möglichkeit, uns gegen diese Manipulationen zu wehren.

...

Die Bundeszentrale für Politische Bildung stellt ein Kriterium bereit, das als Faustregel für eine Unterscheidung von ‚Propaganda‘ und ‚Nachrichten‘ in den Medien und damit für eine Identifikation von Aktualindoktrinationen sehr nützlich ist: „Charakteristisch für Propaganda ist es, dass die verschiedenen Seiten einer Thematik nicht dargelegt und Meinungen und Informationen vermischt werden.“ Nach diesem einfachen Kriterium muß der weit überwiegende Teil dessen, was uns die Leitmedien als ‚Nachrichten‘ anbieten, als Propaganda klassifiziert werden.

http://www.bpb.de/gesellschaft/medien/krieg-in-den-medien/130697/was-ist-propaganda

Tiefenindoktrination zielt auf längerfristig angelegte Prozesse der Vermittlung politischer und gesellschaftlicher Weltbilder und Wertesysteme. Diese Weltbilder oder ‚Narrative‘ werden kognitiv und affektiv so tief verankert, dass sie uns gar nicht mehr als ideologische Weltbilder bewußt sind, sondern als Selbstverständlichkeit erscheinen. Dadurch sind sie weitgehend gegen Fakten und Kritik immun. Mit einer Tiefenindoktrination können also nicht nur ‚störende‘ Fakten kognitiv und affektiv unsichtbar gemacht werden, sondern gleich ganze Denkräume und Denkmöglichkeiten. Die Vermittlungsinstanzen von Tiefenindoktrinationen sind alle Sozialisationsinstanzen, Medien und die Kultur- und Unterhaltungsindustrie. Insbesondere gehören Schulen und Universitäten zu den zentralen Vermittlungsinstanzen von Tiefenindoktrination. Historisch ist dies nicht überraschend, denn die allgemeine Schulpflicht beispielsweise wurde nicht eingeführt, um mündige Bürger zu erzeugen, sondern um „fromme Kirchgänger und gehorsame Staatsdiener“ zu schaffen.

Otto Ludwig (1988). Der Schulaufsatz: seine Geschichte in Deutschland. Berlin: De Gruyter (S. 265)

Der große englische Philosoph, Mathematiker und politische Aktivist Bertrand Russell (1872-1970) hat die gesellschaftliche Funktion von Ausbildungssystemen bereits 1922 auf den Punkt gebracht:
»Ausbildungssysteme sind nicht entwickelt worden, um echtes Wissen zu vermitteln, sondern um das Volk dem Willen der Herrschenden gefügig zu machen. Ohne ein raffiniertes Täuschungssystem in den Schulen wäre es unmöglich, den Schein der Demokratie zu wahren. Es ist nicht erwünscht, dass der normale Bürger selbständig denkt, weil man der Auffassung ist, dass Leute, die selbständig denken, schwer handzuhaben sind. Nur die Eliten sollen denken. Der Rest soll gehorchen und ihren Führern folgen, wie eine Hammelherde. Diese Doktrin hat auch in Demokratien alle staatlichen Erziehungssysteme von Grund auf verdorben.«

Bertrand Russell (1922). Free Thought And Official Propaganda. New York: Watts.

Noch zu Russells Zeiten war die Indoktrinationsfunktion von Ausbildungssystemen vergleichsweise leicht erkennbar. Heute jedoch ist sie ungleich schwieriger zu identifizieren. In ähnlicher Weise wie die politische Propaganda, die ebenfalls in der damaligen Zeit vergleichsweise leicht als Propaganda auszumachen war und sich seitdem enorm verfeinert und gleichsam unsichtbar gemacht hat, haben sich auch die Indoktrinationsmechanismen von Ausbildungssystemen verfeinert und sind kaum noch als Indoktrinationsmechanismen erkennbar. Insbesondere wirken sie weniger über konkrete Inhalte als über stillschweigend zugrunde gelegte Filter- und Selektionsmechanismen. Im Kern bleiben jedoch die wesentlichen Aspekte der Russellschen Kritik auch für die Gegenwart gültig.

Schon bevor im Gefolge der neoliberalen Revolution auch der Bildungssektor konsequent ökonomischen Zwängen unterworfen wurde, stellte Ivan Illich 1971 fest: Das Schulwesen „ist zugleich Hort des gesellschaftlichen Mythos, die Institutionalisierung der Widersprüche dieses Mythos und der Ort des Rituals, das die Dissonanzen zwischen Mythos und Wirklichkeit reproduziert und verschleiert. … Keine andere Institution könnte ihren Teilnehmern die tiefe Diskrepanz zwischen sozialen Grundsätzen und sozialer Wirklichkeit in der Welt von heute wirksamer verschleiern.“
Ivan Illich (1971/2003) Entschulung der Gesellschaft. Eine Streitschrift. München: Beck.

Ich kann jedem diesen wichtigen Vortrag wie auch das zugrundeliegende Script nur dringend empfehlen. Es is keine leichte Kost. Wenn man es nicht gewohnt ist, subversiv zu denken, könnte man beim Lesen oder Zuhören schon den einen oder anderen inneren Widerstand verspüren.

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