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  • Londonman

219 Beiträge seit 11.04.2018

OPCW, Proben und Testproben

Es scheint hier einige Verwirrungen zu geben wie Proben in so einem Fall genommen werden und wie dann mit den Proben umgegangen wird:

1) Forensische Spurensicherung ist nicht der Vorgang wo der Inspektor eine gebrauchte Plastiktüte aus seinem Mantel zieht und dann mit der Hand den Zigarettenstummel aufnimmt und in die Tüte stopft. Danach sagt ein verknitterter Mann im Laborkittel: "Der Iwan wars, ganz klar" bevor die Werbung kommt.

Sondern Spurensicherung sind geschulte Crime Scene Investigators die in Schutzanzügen vorsichtig den abgesperrten Tatort betreten und dort die Spuren nach bekannten und geprüften Verfahren aufnehmen und jede Spurensicherung akribisch dokumentieren.
Für verschiedene Spuren gibt es verschiedene Methoden der Sicherung die durch Fotos oder Videos dokumentiert werden. Dabei soll das Material so wenig wie möglich berührt und so früh wie möglich sinnvoll in einem dafür geeigneten Behälter gesichert werden.
Das generelle Vorgehen in UK ist in http://library.college.police.uk/docs/appref/ENFSI-BPM-v1_0.pdf beschrieben. Dazu gibt es dann spezielle Vorschriften und Verfahren welcher Beweis in welchen Behälter geht, z.B. biologische Spuren (Sperma, DNA, etc.) brauchen andere Verfahren und Behälter als z.B. Computerfestplatten.
z.B in https://www.westmercia.police.uk/media/1745/Scenes-of-Crime/pdf/fssscenesofcrim.pdf
Unbekannte Substanzen werden in speziellen chemisch und biologisch neutralen Behältern gesichert. Ich gehe davon aus das sowohl

2) Jedes Beweisstück hat also seinen eigenen Behälter der nach der Beweisnahme sofort versiegelt wird. Auf dem Behälter steht die Beweisnummer und das Datum/Uhrzeit und wer den Beweis entnommen hat. In dem dazugehörigen Chain of Evidence Custody Form stehen dann zusätzlich noch der Ort der Entnahme, die Methode (manchmal nur zum Ankreuzen). Häufig werden dieser Behälter zusätzlich noch in speziellen Evidence Bags versiegelt die dann zum Transport benutzt werden. Jeder Transport, jedes anfassen wird in dem Chain of Custody form mit Namen, Datum, Uhrzeit, und von wo nach wo dokumentiert, einschließlich der Information wer den Transport durchgeführt hat und wer die Beweismittel im Empfang genommen hat.

3) Die versiegelten Behälter werden im Labor entgegengenommen und das m Chain of Custody form und im Eingangsbcuh des Labors vermerkt. Die Siegel der Behälter bzw der Evidence bags werden überprüft. Verletzungen der Siegel können eine manipulierte Probe bedeuten, deshalb werden dies besonders dokumentiert und die Ermittlungsbehörden benachrichtigt.

4) Für die meisten Proben gibt es standardisierte Untersuchungsverfahren die in den "Standard Operating Procedures" dokumentiert sind. Diese Verfahren werden regelmäßig überprüft ob sie noch den Stand der Wissenschaft wiedergeben (Verifikation), aber auch ob sie das Labor richtig durchführt (Qualitätsanalyse)

5) Diese SOP sind je nach Probe natürlich unterschiedlich, DNA Identifizierung wird anders untersucht als eine Blutanalyse auf Restalkohol, Sprengstoffe anders als Rattengift oder wie in diesem Fall Nervengift.

6) Die Analyse werden von Fachleuten in den dafür ausgerüsteten Laboren ausgeführt. Dazu gehört eine entsprechende Ausbildung und Ausrüstung und die ständige Überprüfung und Validierung der SOPs.

Das ganze Verfahren nennt sich ISO/IEC 17025 und ist der internationale Standard für die Anerkennung und Überprüfung von Test und Untersuchungslabore.

7) Untersuchungsberichte können öffentlich sein, nur im Detail oder in der Zusammenfassung. Das OPCW hat sich entschlossen die detaillierten Bericht erst einmal geheim zu halten, er kann aber mit Genehmigung von UK freigegeben werden.

Ähnlich sieht es mit Polizeiberichten in UK aus, ich habe schon erlebt das der Richter das Publikum von der Verhandlung ausgeschlossen hat und nur das Gericht und die Jury den Ermittlungsbericht sehen oder hören durfte. Dies geschieht meistens um Personen wie Kinder oder Missbrauchsopfer zu schützen oder auch besonders schreckliche Details nicht an die Öffentlichkeit zu lassen.

8) Untersuchungsmethoden werden regelmäßig überprüft ob sie noch den Stand der Wissenschaft wiedergeben. Bei den meisten chemischen und toxikologischen Substanzen sind die Untersuchungsmethoden gut dokumentiert, unbekannte Substanzen brauchen andere, allgemeinere Verfahren. Jeder Chemiestudent im 1. Semester kennt die Trennungsgänge im Anorganikum, im Prinzip Verfahren aus dem 18. und 19, Jahrhundert. Obwohl diese Verfahren zur Elementaranalyse immer noch gültig sind und Ergebnisse liefern, wurden sie schon lange im moderne Labor abgelöst da nicht mehr zeitgemäß.

9) Untersuchungsmethoden werden auch regelmäßig überprüft ob sie richtig ausgeführt werden. Dazu gehört das Untersuchen einer bekannten Substanz mit einer bekannten Stärke oder Konzentration (Kalibrierung), der Vergleich von bekannten Substanzen unterschiedlicher Konzentration, der Vergleich von ähnlichen Substanzen gleicher und unterschiedlicher Konzentration´, die Untersuchung einer Probe ohne die gesuchte Substanz oder mit einer anderen Substanz.

10) Die OPCW hat zur Überprüfung der beauftragten Labore einen eigenen Test durchgeführt, indem BZ in einem eigenen Probebehälter zu den anderen Proben (auch im eigenen Behälter) gegeben hat. Nur der jeweilige OPCW-Mitarbeiter hat das Wissen welche Proben in welchem Behälter sind. Die Labore wissen nur das diese Proben aus Salisbury kommen und das sie unbekannte Substanzen identifizieren müssen. Da die Proben über vier Labore verteilt sind ( je zwei biologische und je zwei Umweltproben) müssen die Ergebnisse für die Proben gleich sein, natürlich im Rahmen der Messgenauigkeit.
Gibt es Abweichungen hat ein Labor geschlampt und es muss neu untersucht werden.
Genauso geht es mit dem BZ als Vergleichsprobe, die Labore müssen die Substanz sowohl erkennen als auch die richtige Konzentration feststellen.

11) Die beauftragten Labore haben also nach den veröffentlichen Berichten sowohl Novichok als das benutzte Gift festgestellt als auch die Vergleichssubstanz BZ richtig analysiert. Das bedeutet das es in diesem Fall keine Probleme mit dem Erkennen von unbekannten Substanzen und ihrer Konzentration gibt.

12) Die beauftragten Labore haben sowohl Proben analysiert die von den britischen Behörden kurz nach dem Anschlage genommen wurden als auch Proben die OPCW selber genommen worden sind und jeweils Novichok in unterschiedlicher aber toxikologisch wirksamer Konzentration gefunden.

13) Novichok zersetzt sich zwar unter Feuchtigkeit (einer der Empfehlungen ist das Abwaschen mit Seifenlauge da ein hoher (basischer) PH die Zersetzung beschleunigt), allerdings sind die Zersetzungsprodukte gut nachweisbar. Nach den Berichten in der britischen Presse gibt es mindestens 8 Stellen in Salisbury wo eine signifikante Konzentration dieses Gift gefunden worden ist, darunter das Haus der Skripals, das Pub und das Restaurant. Diese Untersuchungen und die Dekontaminierung wird wohl bis ende des Jahres andauern.

14) Die britische Polizei und alle Untersuchungsbehörden haben bisher keinen Täter benannt, das haben die Politiker wie Theresa May und Boris Johnson gemacht, angeblich auf Grund von Geheimdienstinformationen. Ich habe diese Informationen nicht und hallte diese Benennung verfrüht solange es keine belastbaren und veröffentlichten Beweise gibt. Davon abgesehen habe ich eine sehr eigene Meinung über diese beiden Politiker, die aber für diesem Fall nicht relevant ist

15) Interessant ist das russische und russisch inspirierte Medien relativ früh begonnen haben die Ermittlung (Briten , OPCW) anzugreifen und die gefundenen Fakten in Zweifel zu nehmen bis zum Verbreiten von falschen Aussagen.
Als Forensiker (Fast 25 Jahre Computerforensik für Behörden und Privatunternehmen) kenne ich diese Vorgehensweise, möchte sie aber nicht weiter kommentieren.

Und jetzt höre ich auf euch mit Fakten zu langweiligen

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