Um sich eine Meinung zum Fall Skripal zu bilden, kann man nicht umhin, diesen im Kontext mit der aktuellen politischen Wetterlage zwischen den imperialen Weltmächten zu betrachten. Denn normalerweise wird um den Mord an einem Geheimdienstmitarbeiter nicht so ein Aufhebens gemacht. Geheimdienstliche Tätigkeit ist ein schmutziges Geschäft, Folterungen, Morde und Entführungen sind Teil davon. Davon wimmelt die Geschichte der Geheimdienste aller Länder. Skripal ist also erstmal Buisiness as usual, so moralisch verkommen das Ganze auch sein mag.
Das Besondere ist zunächst, dass Großbritannien daraus eine zwischenstaatliche Affäre macht - und - das dies sich nahtlos einreiht in das augenblickliche Kesseltreiben (Ukraine, Krim, Wahleinmischung, Syrien, ..) gegen die Russische Föderation. Das Schema ist immer gleich: Behauptung, ernsthafte Konsequenzen wie Sanktionen, aber gerichtsfeste Beweise Fehlanzeige, stattdessen Spekulationen und Verweise auf Geheimdienstquellen ohne jemals überprüfbare konkrete Fakten mitzuteilen. Alles bleibt schwammig, ein undurchsichtiger Brei.
Der nüchterne Befund dahinter ist, dass hier zwei imperiale Machtblöcke Nato/USA und das gegenpolige Bündnis von im Kern Russland/China zunehmend aneinander geraten. Die ehemals unangefochtene Führung der Nato/USA bröckelt zunehmend, ihr ökonomisches Gewicht schwindet, ihre Fähigkeit andere Völker und Staaten erfolgreich militärisch zu besiegen oder in Schach zu halten, ist beinahe erloschen. Auf der anderen Seite der ökonomische Erfolg von China, die Stabilisierung der RF nach der Auflösung der Sowjetunion, aber auch die Prosperität und das gewachsene Selbstbewusstsein anderer asiatischer, lateinamerikanischer und sogar afrikanischer Staaten, macht es für die Verliererseite zwingend erforderlich, wieder in die Offensive zu kommen, ehe die eigenen Felle vollends davonschwimmen und sei es um den Preis ernsthafter militärischer Abenteuer. Es geht also keinesfalls um Moral, Demokratie und Menschenrechte, sondern um die imperialistischen Interessen der dahinterstehenden Kapitalgruppen, denn kapitalistisch organisiert sind alle beteiligten Staaten ohne jede Ausnahme.
Für dieses nüchterne Programm sind die Völker der Staaten natürlich nicht zu gewinnen, daher der gewaltige Theaterdonner, das Verstecken hinter höheren Werten und/oder göttlichen Bestimmungen, jeweils wie es passend ist oder passend gemacht wird.
Was im Fall Skripal sofort ins Auge springt, ist die ausgesprochen dürftige Informationslage. Womit hat er sein Geld verdient nach seiner Strafverbüßung? Normalerweise wäre das der erste Ansatzpunkt einer kriminaltechnischen Ermittlung. Wenn überhaupt, dann hier, könnte eine Erklärung dafür gefunden werden, warum die RF nach so langen Jahren auf einmal wieder Interesse an Ihrem ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter entwickeln könnte. Darüber aber ist so gut wie nichts zu lesen. Und wenn, warum dann der Mordversuch mit einer so kompliziert zu handhabenden Waffe wie dieses Nervengift? Warum bewegen sie sich ohne Beschwerden noch 2,5h lang, ehe sie plötzlich zusammenbrechen?
Angesichts dieser Fragen und der hohen politischen Bedeutung des Falles ist der öffentliche und lapidare Befund der OPCW eine Dreistigkeit sondergleichen. Ja, es sei der gleiche Stoff wie vom britischen staatlichen Institut festgestellt worden, ohne den Namen allerdings zu nennen. In welcher der Proben (von der Türklinke oder im Blut der Skripals) wurde er in welcher Konzentration festgestellt? Ist die gefundene Konzentration tödlich? Keine der relevanten Fragen, die einer Antwort bedürfen, werden auch nur angesprochen, jedenfalls nicht öffentlich.
Alleine deswegen ist die Frage, ob die OPCW wirklich eine so unabhängige Organisation ist, durchaus berechtigt und sollte gestellt und diskutiert werden. Ein oberflächlich näherer Blick zeigt bereits, dass das mit der Unabhängigkeit so eine Sache sein dürfte. Neben der Mitgliederversammlung ist das höchste Gremium das "council", bestehend aus 41 Delegierten der Staaten, die in Gruppen nach Weltregionen aufgeteilt sind und sich innerhalb ihrer Gruppe alle zwei Jahre abwechseln. Die Nato/USA nebst mit Ihnen eng verbundenen Staaten wie Japan, Saudi-Arabien und Panama haben 16 von 41 Stimmen, wobei man wissen muss, dass für wichtige Beschlüsse eine 2/3 Mehrheit erforderlich ist, also mindestens 28 Stimmen. Gegen den Natoblock können also keine Beschlüsse gefasst werden. Die Leitung der operativen Arbeit erfolgt unter der Führung des Generaldirektors der Organisation, zur Zeit Herr Üzümcü, ein altgedienter türkischer Karrierediplomat, der zuvor die Türkei bei der Nato vertreten hat. Er dürfte zum inneren Zirkel der türkischen Staatsmacht gehören. Der Abteilungsleiter der Abteilung "verification" (hier zuständig) ist ein Herr Phillipe Denier, seines Zeichens früher Berater des französischen Verteidigungsministeriums für "nuclear affairs". Die beiden Hauptakteure in dieser Sache dürften also eine gewisse Verbundenheit mit ihren jeweiligen staatlichen Organisationen vermuten lassen.
Somit ist die wortkarge Reaktion der OPCW in meinen Augen sehr wohl verständlich. Sie agiert ohne jeden Aufklärungswillen und versucht das Ganze möglichst ohne großes Aufsehen über die Bühne zu bringen.
Das Fazit: Die Völker dieser Welt können sich bei ihrem Bemühen um den Weltfrieden nicht auf irgendwelche Regierungen oder Organisationen verlassen. Sie stehen allein. Und entweder bewältigen sie diese Aufgabe in einem gemeinsamen Bund oder ihr Überleben steht in Frage.