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mehr als 1000 Beiträge seit 10.10.2000

Weniger Mystizismus, mehr Fakten.

Hier in Barcelona ist jede Nacht Party, in Barceloneta und am Strand, und zwar mit viel Alkohol, ohne Masken, ohne Abstand, drinnen und draussen. Die Anwohner des Viertels fangen schon an, nächtliche Patrouillen durch die Strassen zu schicken, weil dort seit Wochen kaum mehr jemand ruhig schlafen kann bei dem Lärm, der jede Nacht auf der Strasse veranstaltet wird. Es ist zwar richtig, dass das Ansteckungsrisiko draussen geringer ist als drinnen, aber wenn die Leute auf der Strasse dicht gedrängt zusammen Party machen, sieht die Sache auch anders aus. Das besondere Risiko hier ist nun, dass sich das Partyvolk mit den zahlreichen Touristen mischt, die alle ebenfalls glauben, im Urlaub habe ein Virus kein Recht, sie anzufallen. Diverse von denen werden sich ein Mitbringsel mit nach Hause nehmen und dort wieder verteilen. Das wird jetzt noch zwei, drei Monate so weitergehen, bis die Impfquote auch unter Jüngeren tatsächlich so hoch ist, dass eine effektive Dämpfung der nächsten Welle eintritt.

Da braucht man auch gar nicht irgendwelche finsteren Mächte zu bemühen, das ist einfach die stinknormale menschliche Bequemlichkeit. Natürlich hat niemand die Maske auf, wenn man mit Freunden Spass hat, vor allem mit einem Glas in der Hand, und viele Jüngere glauben anscheinend immer noch, die Erkrankung wäre nur ein Problem von alten Leuten und nicht ihres, weil das für sie nur maximal ein Schnupfen wäre. Und nein, die Delta-Variante ist nicht "nicht gefährlicher als eine Grippe", sie ist lediglich nicht gefährlicher als die bisherigen Varianten - aber ansteckender. Mittlerweile steigen auch wieder die Zahlen bei den Intensivstationen vor Ort. Diese Woche liegen dort 10 Personen zwischen 30 und 40 Jahren, das sind doppelt so viele wie letzte Woche. Da es normalerweise bei den Jüngeren ein paar Wochen dauert, bis sie auf die Intensivstation kommen, kann man davon ausgehen, dass diese Zahl in den nächsten paar Wochen noch reichlich hochgehen wird.

Und nein, die 2 über 60 jährigen Geimpften, die erkrankt sind, sind keine PR-Aktion der Pharmamafia, sondern genau das, was man zu erwarten hat bei einer Wirksamkeitsquote der Impfung irgendwo unter exakt 100,000%. Es hat nie irgendwer behauptet, dass die Impfung garantiert immer schützen würde, und dafür funktioniert es sogar überraschend gut bislang.

Auf der anderen Seite ist Spanien ökonomisch abhängig von der Tourismusindustrie, die massiven Druck auf die Regierung ausübt, um die Öffnung voranzutreiben. Da die Zahlen des laufenden Quartals immer viel wichtiger sind als die des nächsten oder übernächsten, kümmert es da niemanden, wenn zusätzliche Einnahmen jetzt mit einem möglichen kompletten Einbruch im nächsten Quartal erkauft werden. Das ist keine Böswilligkeit, und da stecken auch keine finsteren Mächte dahinter, sondern der ganz normale Irrsinn des real existierenden Kapitalismus. Die müssen alle darum kämpfen, in diesem Quartal Gewinne zu machen, weil sie sonst vielleicht im nächsten Quartal schon pleite gegangen sind.

Für den globalen Gesamtkapitalisten ist übrigens diese Pandemie, solange sie andauert, mit extremen Problemen verbunden, auch wenn einzelne Kapitalisten mit den Umständen grosse Gewinne einfahren. Insgesamt stockt sowohl die Produktion als auch die Warenzirkulation, und das führt immer zu Verwerfungen und Verlusten, weil es das zur Gewinnerwirtschaftung zwingend notwendige permanente Wachstum behindert. Da aber auch die Kapitalisten nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen haben, versuchen deshalb einige, ihre Staaten zu schärferen Ausgangssperren zu bewegen, während gleichzeitig möglichst nur die Freizeit aber nicht die Arbeit eingeschränkt werden soll, und andere wiederum die Aufhebung aller Einschränkungen erwarten, damit ihre eigenen Geschäfte nicht behindert werden. Das führt zu einem permanenten Eiertanz, der in Bezug auf Seuchenhygiene nichts Halbes und nichts Ganzes zustande bekommt. Wenn es auch Wahnsinn ist, so hat es doch Methode.

Was die permanenten Versuche der Einschränkungen von Freiheit betrifft: Das liegt in der Natur des modernen repräsentativen Staates. Abgeordnete beschäftigen sich damit Gesetze zu erlassen, um bislang ungeregelte Bereiche des menschlichen Zusammenlebens zu regeln. Wenn sie nichts mehr zum Regulieren finden, dann sind sie praktisch arbeitslos und haben auch kein Material mehr für ihre Wahlkämpfe. Folglich wird die Freiheit im Staat immer weiter eingeschränkt, bis alles bis ins Kleinste reglementiert ist, zugunsten einer reibungslos funktionierenden und prosperierenden Staatsbürokratie, die über jedes kleinste Detail die Oberaufsicht hat, dass nur ja alle sich gemäss der freiheitlich-demokratischen Grund- und Bodenordnung verwirklichen, und keine gespaltene Haaresbreite weiter.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (14.07.2021 14:10).

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