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  • Bajoboes

837 Beiträge seit 14.11.2012

Sosolala

tl;dr:
was der Autor über die Konstitution der virtuellen Spielwelt in
PC-Spielen sagt, ist streckenweise nicht von der Hand zu weisen und
des Nachdenkens wert, aber seine direkte Übertragung all dessen auf
die nichtvirtuelle Welt ist eine einzige Kette von illegitmien pars
pro toto-Schlüßen. 

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Die Passivität, die nur als vermeintliche Aktivität herausgestellt
wird, ist bspw. durch das System der MOD nicht mehr so einfach
behauptbar. Ich kenne mich da zwar in der Breite der Spielewelt nicht
aus - ich bin mehr so ein RPG und Strategie-Typ - aber das, was ich
bisher so gesehen habe, reichte von ganz einfachen Abänderungen
graphischer Effekte bis zur völligen Abänderung oder Umkehrung ganzer
Spielbestandteile und das für so ziemlich alle Genres. Zumeist von
Spielern produziert. 
Der Vorwurf an die "Kulturindustrie", sie bilde immer nur die
bestehende Realität ab, ist wie der Vorwurf an Künstler, sie
benutzten immer nur vorhandene Farben. Kein Spiel und nichts
menschliches könnte irgendwas nicht irgendwie Reales abbilden, selbst
Bosch`s "Garten der Lüste" (voller Dämonen!) ist an die Realität
angelehnt. Wer das beklagt, beklagt das Regen nass ist.

Auch das im Artikel genannte Spiel "Space Giraffe" spielt einfach nur
ein Raumschiff im Weltall nach, welches Schusswaffen benutzt (und im
Übrigen sehr simpel wie ein aufgepimtes Spaceinvaders wirkt). Was ist
daran nicht irgendwie ein bisschen postapokalyptisch, wenn man
alleine irgendwas abballernd durchs Weltall ziehen muss? 

Zuletzt muss ich mal daran rumkritteln, daß offenbar viele derer, die
sich irgendwie auf Adorno stützen, jedenfalls meinem Gefühl nach mal
vor allem dessen Sprach/Schreibstil kopieren wollen, die gedankliche
Durchdringung (und Kritik) seiner Werke aber kaum relevant wirkt.
Besonders ärgerlich in diesem Zusammenhang ist dann immer, wenn die
Autoren - die sich nicht nur an den Adornoleseclub richten wollen -
erklärungsbedürftige Begriffe und Begriffskonstruktionen einfach eben
nicht erklären. So zb: 

- Kulturindustrie 

- SPIEL und SPIELEN (wann spielt man nicht? gibt es verschiedene
Arten?) 

- Barbarei 

- Ideologie, Postideologie, Tod der Ideologie (was ist der sogenannte
Neoliberalismus anderes als eine Ideologie? Was ist der
Genderfeminismus? Was sind radikale Religioten? Was ist
postideologisch? Und warum überhaupt soll es plötzlich keine
Ideologie mehr geben? Wann solle sie denn gestorben sein?) 

- "jegliche Gedanken an eine Alternative zum Kapitalismus längst
abgetötet": 
hätte der Autor mich gefragt, ob ich Kapitalismus oder dessen jetzige
Ausformung für völlig alternativlos halte, hätte ich ihm "nein"
gesagt und wäre damit entweder ein Wunder oder ein Beweis für die
Unzulänglichkeit der Behauptung, jeglicher Gedanke sei abgetötet (was
war zb. Occupy?); mit was wird diese Behauptung gestützt? Und woher
der philosphisch stets unredliche Verweis auf "jegliche", also auf
"alle und alles"? Das ist in eher philosophischen Fragestellung fast
immer selbstdisqualifizierend (Wer "alles" sagt, sagt "nichts", weil
er nicht differenziert und daher bestehende Unterschiede negiert)

- "spielerische Amüsement stellt eine Verlängerung der Arbeit unterm
Spätkapitalismus dar [...] Es wird von dem gesucht, der dem
mechanisierten Arbeitsprozess ausweichen will, um ihm von Neuem
gewachsen zu sein." 
Das allerschlimmste in Adornos/Horkheimers Werken ist aber genau
dieser Duktus: es könne NUR so sein, wie sie es beschrieben haben,
also "Amüsement" kann NUR von denen gesucht werden, die vor dem
mechanisierten Arbeitsprozess flüchten wollen, um sich danach wieder
in ihn zu stürtzen. Es ist nicht möglich, es aus einem anderen Grund
machen zu wollen oder nicht nur aus diesem Grund, oder anders gesagt
schreiben Adorno/Horkheimer nicht selten nach genau dem Prinzip, das
sie indirekt zu Recht sehr oft geißeln: there is no alternative (to
our way of percetion and interpretation)

- "Passivität der Konsumenten der klassischen kulturindustriellen
Produkte wie Film, Radio und Illustrierte "; dies ist vollkommen
abhängig davon, wie man dieses Gut konsumiert (kritisch, affirmativ,
anders); wer wann was macht, können Adorno/Horkheimer kaum wissen,
außer sie waren Zauberer; einzige Passivität ist die Unmöglichkeit
zur direkten und sofortigen Rückmeldung an den jeweiligen Schöpfer,
aber das ist auch bei jedem Buch so und streng genommen bei jedem
guten Gespräch (weil man den anderen ausreden lassen muss)

- "Die mit Spielen verbrachte Freizeit im Spätkapitalismus ist so zu
einer ununterbrochenen Leistungsschau verkommen"; 
warum bitte kann man Multiplayerspiele NUR aus dieser
Leistungsschauperspektive verstehen, welche sicherlich auch
stattfindet? Warum wird auf das offenbar kooperative Moment nicht
eingegangen? Warum ist Leistungsschau per se scheiße? Und warum schon
wieder offensichtlich die "ist bei allen und allem so"-Schwatzerei? 

- "Die meisten Angestellten firmieren im Arbeitsprozess als
"Datenverarbeitungmaschinen""; 
ich würde das Informationsverarbeitungsorganismus nennen, aber das
klingt nicht so pejorativ; dennoch ist ein nicht
informationsverarbeitender Mensch ein hirntoter Mensch; und woher
weiß Herr Konicz, was die meisten Angestellten tatsächlich so machen?
Hat er sie besucht oder fand er das nicht nötig angesichts seiner
Hellsichtigkeit? Woher kommt dies Wissen?

- "Der Stress und die Aggressionsschübe eines online ausgetragenen
FPS-Matches entsprechen dem Stress eines Bürotages"; 
der Stress eines Fussballspiels der Xyz-Jugend dürfte den eines
Bürotages um Längen übersteigen und selbst beim Schach kann man
richtig fett ins Schwitzen kommen; auf der letzten Schach-WM sind
sogar zwei etwas betagtere Teilnehmer an Herzinfarkten gestorben...
(no risk no fun); im Übrigen reine Behauptung ohne Beleg 

(- "Erst wenn dieser Impuls [zu Widerstand und Opposition]
weitestgehend abgetötet ist, kann das Spiel die Passivität in
Aktivität zugunsten des in Barbarei umschlagenden Bestehenden
wandeln." 
ein klassisches Beispiel dafür, daß jemand nur den Sprachdukuts
Adornos kopiert hat...; zur Frage der Passivität habe ich schon
geschrieben)

- "Bei GTA V handelt es sich letztendlich um einen
Massenmordsimulator, dessen Welt den Spieler dazu einlädt, mitunter
sogar förmlich nötigt, möglichst viele virtuelle Spielfiguren auf
möglichst brutale Art und Weise ins Jenseits zu befördern"; 
beim Schach muss man theoretisch betrachtet ein ganzes Volk inklusive
ursrpünglichem Vater (König) und Mutter (Dame) auslöschen, wobei die
schwächsten Figuren interessanterweise Bauern genannt werden und
meist sehr billig geopfert werden, zudem auch noch den American Dream
erfüllen wollen (vom Tellerwäscherbauern zur Dame); oder anders
gesagt gibt es nur sehr wenige Spiele, wo man dem Gegner (den es auch
fast immer gibt) nicht "virtuell" massiven Schaden oder gar Tod
zufügen muss; im Grunde ist das sogar bei den poppeligsten
Kartenspielen der Fall (Romée, Skat, Maumau...alle wollen alle Gegner
restlos auslöschen); kurz gesagt: hier tritt klar zutage, warum man
in so einem Artikel auf jeden Fall Begriffe wie "Spiel" definieren
muss, bevor man quasi willkürlich gut-und-böse-Setzungen vornehmen
kann - andernfalls kann man als Leser die Setzung nicht mehr
nachvollziehen, weswegen es dann willkürlich wirkt (=Autor findet
einfach das Spiel doof).

- "die durch die Luft fliegenden Gliedmaßen und Körperteile, kommen
ohne alle die Konsequenzen daher, die diesen Vorgängen in der
Realität anhaften: den Gestank von Verwesung und verbranntem Fleisch,
die Fliegenschwärme, die posttraumatischen Störungen."; 
bitte nennen Sie mir drei analoge Spiele, bei denen nicht die Folgen
des Handelns im Spiel ganz anders hinmoderiert werden als es bei
derselben Sache in der Realität der Fall wäre (= Teildefinition von
"Spiel"?); bsp. endet simples Gefangenwerden in der Realität meistens
mit Knast, Folter oder Tod (inkl. aller Gerüche), im Spiel zumeist
damit, das man auf der Bank landet oder zum Fänger wird; Brandball
ist eine Art Häuserkrieg ohne Gewehre; Feuer-Wasser-Sturm...)

- "es ist reiner Sadismus, der hier ausgelebt wird."; 
hierzu bitte die Erklärung, warum das Ausleben von Sadismus an
VIRTUELLEN Objekten so unglaublich schlimm sein soll? Was ist der
Unterschied zu zb. Kung-Fu-Wettbewerben? Und ist Sadismus an realen
Objekten auszuleben besser oder sollte man ihn gleich ganz
unterdrücken? 

- "Die Tendenz in der Spieleindustrie geht dahin, den
Schwierigkeitsgrad der Einzelspielerkampagnen insbesondere bei den
teuren AAA-Spielen immer weiter abzusenken"; 
Optionen --> Schwierigkeit ....

- "Die Ästhetisierung der Barbarei, die von der Branche mit einem
Milliardenaufwand betrieben wird, steht in Wechselwirkung mit der
zunehmenden Toleranz gegenüber der Barbarei in den Gesellschaften,
die in Reaktion auf die Krisendynamik in einen Extremismus der Mitte
verfallen."; 
dieser Satz ist solange wahr, wie man nicht zur Kenntnis nimmt, daß
gegen diese Tendenzen auch Gegenbewegungen in dieser Gesellschaft
existieren, die die Barbarei gerade vollumfänglich ablehnen; ja es
gibt Menschen, die sich an den Schundsendungen von RTL ergetzen
können; Ich aber verabscheue solche Sendungen, aber diese Abscheu ist
beim Konicz gar nicht mehr existent, weil in mir ja schon alle
Alternativen zu TINA getötet worden sind... 

Fazit: Gute Idee und guter Ansatz für einen Artikel, aber viel zu
selektive Auswahl der analysierten Materialien, viel zu viele
unscharf oder gar nicht definierte Kernbegriffe und illegitime
Schlüße von einzelnen Videospielteilen auf mindestens 1/3 der
Weltbevölkerung, wenn nicht gleich der ganzen Weltbevölkerung; wirkt
wie ein schlecht kopierter Adornoartikel über die für ihn unsägliche
und abendlandtötende Jazzmusik und auch so, als sollte der Artikel
die ganze Zeit zum Fazit der verrotteten Zivilsation führen. So ein
Theorem würde ich noch teilweise mittragen, aber nicht so plump "oh
menno!"-depressiv geschwurbelt.

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