trainspotter (1) schrieb am 29.09.2021 15:42:
Als im 19. Jahrhundert die Verstaatlichung der meist maroden Privatbahnen weitgehend abgeschlossen war, strebte schon Bismark die Bildung einer Reichbahn an. Er scheiterte an den Ländern. (Bayern, Baden, Württemberg, Oldenburg, Sachsen, Mecklenburg.
Er dachte strategisch richtig. Das wurde durch die schnelle Mobilmachung 1870 bewiesen, dieser Krieg war der Krieg der Eisenbahn. In England war sowas weniger nötig, ein Krieg mit einer ausländischen Streitkraft in England war unvorstellbar.
Wie dem auch sei, im ersten Weltkrieg wurde dann alles auf Verschleiß gefahren, nach dem Waffenstillstand kamen zudem noch erhebliche Rollmaterialabgaben hinzu.
In England dürfte es bis auf die Reparationsabgaben allerdings ähnlich ausgesehen haben.
Die wirtschaftliche Erholung im Zuge der nationalsozialistischen Aufrüstung erreichte die Bahn nur eingeschränkt, da der Bereich des Nachschubwesens sträflich vernachlässigt, bzw. auf eine unausgereifte Technologie - Straßentransport - gesetzt wurde, wie sich im zweiten Weltkrieg heraus stellte. Erst während des laufenden Krieges wurde das erkannt und mit dem Kriegslokomotivprogramm gegengesteuert. Die Infrastruktur fiel weiterhin hinten runter.
Einerseits wurde im 3. Reich die Bahn massiv gestärkt (in dem man ihr Monopole zuschusterte wie das Fernverkehrsmonopol (also das Reisebusverbot im Liniendienst),
andererseits zeigten die Zeichen der Zeit, daß die Zeiten, in denen die Bahn die Antwort auf alle Probleme war dem Ende zugingen. Die Charakteristik der Transporte in Friedenszeiten änderte sich. Und wenn man von einer Fabrik bestimmte Waren (Stückgut) 200 Kilometer weiter in die nächste Fabrik bringen wollte lohnte sich der Lastkraftwagen. Dort fiel nämlich einmal Be/Entladen flach.
Das Nachschubwesen profitierte am Anfang des Krieges durchaus vom Straßentransport, machte der doch eine flexible, hochmobile Lpgistik möglich, der zu entsprechenden Kriegsstrategien paßte. Und man rechnete einfach nicht damit, daß einem bei einen Eroberungskrieg die Bahninfrastruktur des Gegners unbeschadet in die Hände fällt.
Material war in den Dreißigern dabei auch noch teuer und Mangelware.
Im Vergleich mit GB brauchte in Deutschland die staatliche Bahn nicht mehr geschaffen zu werden, das hatte der erste Weltkrieg schon bewirkt. Aber die Herausforderungen waren ungleich größer. Folglich hat die Deutsche Bundesbahn während ihres Bestehens (1949-1993) nur in einem Jahr Gewinne ausgewiesen. Was der Wiederaufbau und die Modernisierung nicht aufbrauchte, wurde durch Pensionszahlungen an ehemalige Reichbahner überkompensiert.* Der Grund dafür ist im aufgeblähten Apparat während des zweiten Weltkriegs zu suchen, als ein Netz vom Atlantik bis zum Kaukasus betrieben werden musste.
Das ist korrekt. Allerdings die Reichsbahner: in jedem Land hatten die Bahner eine entsprechende Sonderstellung und wurden entsprechend bezahlt oder verbeamtet. Denn man brauchte ihre Loyalität gegenüber dem Staat.
* Anmerkung: Nein, ich neide den Menschen ihre Altersversorgung nicht. Aber es stellt sich schon die Frage, wieso diese Ansprüche nicht vom Verursacher - dem kriegführenden Staat Deutschland - direkt, sondern von einem Unternehmen beglichen wurde, an das von eben diesem Verursacher immer der Anspruch gestellt wurde wirtschaftlich zu agieren... (Letztlich hat mit der Verlustübernahme ja doch die Staatskasse bezahlt, aber immer mit dem Vorwurf verbunden, die Bundesbahn habe schlecht gewirtschaftet.)
Das Unternehmen war ein staatliches Monopolunternehmen und konnte dann eben entsprechende Preise aufrufen. Ähnlich wie der Gilb die Post. Wenn der Staat trotz einer bestehenden Kostenstruktur da in die Preise reinreguliert wirds schwer.
Der entscheidende Punkt ist, daß in beiden Ländern das System Eisenbahn nicht als infrastrukturelle Daseinsvorsorge gesehen wird, sondern als Melkkuh, sei es für den Staat (der Staat fordert von der Deutschen Bahn eine jährliche Gewinnzahlung von 500Mio. € unabhängig vom Konzernergebnis, ist m.W. allerdings derzeit wegen Corona ausgesetzt) oder für private Eigentümer - oder gar für beide. Das meinte ich mit entscheidend sei "der Wille einer Gesellschaft, ob sie über ein funktionierendes System verfügen will oder eben nicht". Dieser Wille fehlte sowohl in GB, als auch in D seit dem zweiten Weltkrieg. (In Deutschland würde ich sogar soweit gehen zu sagen, daß dieser Wille - abgesehen von ein wenig KdF-Gehampel - schon seit den dreißiger Jahren fehlt.)
Gruß trainspotter
Nun, auch infrastrukturelle Daseinsvorsorge kann profitabel sein. Solange sie nicht ausufert oder tote Pferde reitet (jedem Dorf seinen Bahnhof!). Das System ist ja kein Selbstzweck. In der DDR wurde ja auch extrem auf die Bahn gesetzt (jedes Transportgut, das weiter als 50 Kilometer befördert wurde mußte über die Bahn gehen) und das war in der Ausmäandrierung dann doch schon wieder unwirtschaftlich. Nur mußte man es dort, weil mans einfach nicht anders hatte und konnte.
Kommen da noch politische Dinge hinzu (England hatte auch einen guten Schwung Kohlebergwerke verstaatlicht und mußte entsprechend Kohle absetzen, deswegen haben sie auch lange an der Dampflok festgehalten) wirds übel. In D hakt ja der Bahnausbau an den Vorschriften und Gesetzen. Eine Strecke neubauen oder erweitern? Das dauert 30 Jahre. Mal schaun wie es beispielsweise mit dem Fehmarnbelttunnel aussieht...
Es geht auch anders, im Land mit dem besten Bahnsystem der Welt (Japan) ist dieses auch profitabel. Der Wille muß da sein.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (29.09.2021 20:25).