exkoelner schrieb am 02.10.2021 13:17:
Captain Data schrieb am 02.10.2021 13:06:
aber gleichermaßen ihm das Recht verweigert wird, würdevoll von uns zu scheiden.
Also, mein älterer Bruder war seit mehreren Jahren multimorbid, ordentlich selbst organisiert und hatte letztes Jahr entschieden, selbstbestimmt von dieser Welt zu scheiden - er hatte einfach keinen Bock mehr. Ich versprach ihm seinen Scheiß ordentlich abzuwickeln, er kam mal wieder ins Krankenhaus und sagte diesmal zu der Ärztin, keine Lebenserhaltenden Maßnahmen, die rief mich an und ich bestätigte, jo, ist keine aktuelle Psycho-Grille, wir haben darüber schon seit Jahren gesprochen - und jetzt will er es durchziehen. Und die so: OK. Und 4 Stunden später rief sie mich an, tot.
Manchmal verstehe ich diese Diskussion nicht.
Weil's leider selten so einfach ist.
Im Falle der Großtante fehlte ihre Patientenverfügung. Sie hatte auch keinen Vormund eingesetzt und die Nahrungsverweigerung wurde nicht als Lebensüberdruss erkannt - und damit fehlten zwei Möglichkeiten für den zuständigen Arzt, das Abschalten der Geräte zu verantworten. Hätte er's getan, wäre er wegen Mordes dran gewesen. Hätte man sie gar nicht erst angeschlossen, gäbe es was für "unterlassene Hilfeleistung".
Also allein der Gesetzgeber sorgt schonmal dafür, dass ein "würdevolles Sterben" nicht so einfach ist, wenn man sich in "Obhut" befindet. Das kann ein Krankenhaus sein, eine Senioren- oder Behindertenresidenz. Da muss es noch nicht einmal um den Profitgedanken gehen.
Dein Beispiel zeigt, wenn Betroffene eine Patientenverfügung haben bzw. im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte eine Aussage treffen, die keine Zweifel am Sterbewunsch lassen und auch die Angehörigen vom Wunsch wissen und diesen unterstützen, dann wird es relativ unkompliziert. Aber da sind so viele Vorbedingungen nötig, die oft eben nicht erfüllt sind.
Kommt dann noch Profitgier dazu, wird's hässlich. Wie gesagt: mancher Seniorenheimbewohner könnte sicherlich friedlich sterben, würde er nicht überwacht werden. Dann käme der Notarzt nicht, wenn das Herz aufhört zu schlagen. Der einzige Grund, warum der Notarzt im Haus ist, ist die "schnelle, unverzügliche Wiederbelebung" - eben auch beim 98-Jährigen, den man 12x schon zurückgeholt hat.
Mancher Koma-Patient könnte vielleicht endlich halbwegs würdevoll sterben, wenn nicht Professoren noch jahrelang debattieren würden, wann der Point of No Return erreicht ist und jemand nicht mehr aus dem Koma zurückkommen kann. Natürlich ist es nicht leicht, sowas festzustellen. Deshalb ist die Patientenverfügung aktuell die einzige Option, wie man selbstbestimmt aus dem Leben scheiden kann, wenn man keine lebensverlängernde Maßnahmen nach einem fatalen Unfall o.ä. wünscht. Aber wieviele 18-Jährige machen sich darüber Gedanken?