Schon die synonyme Verwendung von Einsamkeit und Alleinsein zeigt einen fundamentalen Irrtum auf: Einsamkeit ist nicht Alleinsein, denn Einsamkeit steht für das Leiden am Alleinsein. Daher fühlt sich nicht jeder einsam, der die meiste Zeit seines Lebens lieber alleine verbringt. Im Gegenteil fühlen sich nicht wenige Menschen trotz regelmäßiger Kontakte mit anderen Menschen einsam.
Die modernen Industriegesellschaften fördern Einsamkeit vor allem durch die Förderung des zügellose Konsums: Nicht das Sein bestimmt hier das Bewußtsein, sondern das Haben und Kaufen. Die jederzeitige Verfügbarkeit des Fernsehers fördert zudem das Auseinanderleben der Familienmitglieder, die Rückzugsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen in ihre elektronischen Unterhaltungswelten tragen ebenfalls dazu bei, schon in der Famile den Wert von Gesprächen untereinander herabzusetzen. Meist sind des am Ende jedoch die allein zurückbleibenden Eltern, die vereinsamen, besonders, wenn ein Elternteil bereits verstorben ist.
Ein weiterer einsamkeitsproduzierender Faktor stellt die weitläufige Erziehung zu Konkurrenz statt zu Kooperation dar. Nicht nur in den westlichen Gesellschaften wird seit Jahrtausenden in der Hauptsache ein und dasselbe Dressurmittel eingesetzt, um die Nachkommen so zu prägen, daß sie das Eigene dem Willen und den Bedürfnissen der jeweiligen Gesellschaft unterordnen. Was sich nicht unterordnen bzw. wirtschaftlich verwerten läßt, muß abgespalten werden, kann sich erst gar nicht im Licht des Bewußtseins ausentwickeln.
Am stärksten davon betroffen ist die angeborene Empathiefähigkeit des Menschen, die ihn bereits vor der Geburt im Mutterleib alles erspüren läßt, was die Mutter betrifft. Bei der Geburt ist ein Kind noch ganz und gar Gefühl. Mit der Zeit erlebt das Kind aber diverse Zurückweisungen seines sich gerade entwickelnden Selbst und wird so gezwungen, die unerwünschten Selbstanteile abzuspalten. Hinfort gelten ihm die abgespaltenen Selbstanteile als feindselig, da ihr Hervorholen aus der Versenkung des Unbewußten stets mit dem Erleben der Todesangst vor dem Verlassenwerden verbunden ist. Doch da der vermeintlich fertig entwickelte Mensch weder die Abspaltung noch die Angst, mit der die abgespaltenen Selbstanteile besetzt sind, bemerken darf, projiziert er diese verstörenden Empfindungen nach außen auf den jeweiligen Auslöser, den Fremden, den Anderen, den er dadurch unmittelbar als feindselig erlebt, auch wenn von diesem Anderen gar keine feindseligen Handlungen ausgingen. Da genügt oft schon eine andere Konstellation des Abgespaltenen beim Anderen, so daß der Betroffene beim Anderen nichtabgespaltene Selbstanteile beobachtet, die bei ihm selbst unter Verschluß gehalten werden (müssen). Dadurch entsteht zumindest Ablehnung, wenn nicht sogar ein ausgeprägtes Feindbild.
Zur weiteren Betrachtung der dargestellten Abspaltungen und der Angst vor dem Fremden siehe Arno Gruen, der in seinen Schriften diese Problematik von allen Seiten beleuchtet hat:
http://www.irwish.de/bin/Gruen.zip