Auch Betrüger befassen sich damit und schädigen den Fiskus mit Scheinrechnungen für den Vorsteuerabzug um jährlich 23,5 Milliarden Euro - plus Dunkelziffer. (...)
Die Mehrwertsteuer ist also ineffizient, hochkompliziert und betrugsanfällig. Warum hat die Kiesinger-Regierung sie dann eingeführt?
Wer glaubt, bei den hier zurecht für die MWS angeführten Eigenschaften handle es sich um 'Nachteile', hat den bürgerlichen Staat nicht verstanden. Der bürgerliche Staat ist nicht der Staat aller Einwohner eines Landes, sondern derjenige einer Klasse. Und diese Klasse hat Interessen, die mit den Interessen der Allgemeinheit nicht deckungsgleich sind. (Selbstverständlich behauptet er standhaft das Gegenteil.) Natürlich muss sich auch der bürgerliche Staat finanzieren und ist daher auf Einnahmen, also Steuern und Zölle angewiesen. Beides wird aber als notwendiges Übel und nicht etwa als notwendiges Korrektiv der in der gesamten Menschheitsgeschichte beobachtbaren Tendenz zu ökonomischer Polarisierung aufgefasst.
Zölle stehen im Zeitalter des Freihandeldogmas ohnehin auf der Abschussliste. Steuern kann man dagegen gesamthaft nicht abschaffen. Aber man kann sie so intransparent und kompliziert gestalten, wie nur irgend möglich. Dies bevorteilt die Kapitalisten, sind doch sie es, die sich teure Steuerexperten leisten können, die ihre Kreativität in den Dienst der möglichst kompletten Vermeidung dieser lästigsten aller Pflichten stellen. Zudem ist es in einem komplexen und intransparenten, ja zum Teil widersinnigen Steuersystem einfacher, Regelungen hineinzumogeln, die Kapitalisten deutlich bevorteilen. Dafür gibt es unendlich viele Beispiele. Sendegefässe des öffentlichen Rundfunks, wie etwa ARD-Monitor, weisen gelegentlich auf Beispiele dafür, was aber kaum je auch nur zu einer Diskussion führt.
Kurz, die Manager dieser Staatsform, die Politiker des bürgerlichen Staates, haben grundsätzlich kaum eine Motivation, daran etwas zu ändern. Heerscharen von Lobbyisten sorgen dafür, dass ihnen keine dummen Gedanken kommen und die Kürze der Legislatur dafür, dass löbliche Ansätze im formalen Orkus untergehen.
Kommt dazu, dass der bürgerliche Staat äusserst erfolgreich bestrebt ist, ins Organigramm des politischen Managements keine längerfristig ausgerichteten Gremien einschreiben zu lassen. Etwa eine Gruppe von Personen, die von der Tagespolitik entlastet ausschliesslich dafür da wäre, das grosse Ganze, seine Kohärenz, seine Resilienz etc. im Auge zu behalten und gegebenenfalls einzufordern. Nicht eine externe Expertengruppe, sondern eine voll integrierte vierte Gewalt, eine 'Meditative'.
Aber wo denke ich auch hin? Das politische Ei des Kolumbus wurde doch längst gefunden. Montesquieu forever...