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mehr als 1000 Beiträge seit 12.09.2014

Es liegt nicht nur am Preis...

Wie kann man Menschen dazu bewegen, statt des eigenen Autos vermehrt den ÖPNV zu nutzen?
Ist es wirklich nur eine Frage des Preises, oder vielmehr auch des dafür Gebotenen?

Habe zufällig gestern mal wieder den Sprung über den Main mit dem RMV gewagt, die kurze Strecke von Niederrad zum Hauptbahnhof, 4,1 km auf der Straße, ca 11min Fahrzeit per Kfz. Aber angesichts der beengten und teuren Parkplätze im Bahnhofsviertel sollte es dann doch die Straßenbahn werden...
Linie 15 - 10min-Takt, Umstieg in die Linie 21 mit 3min Abstand. So weit, so gut...
Linie 15 - 5min Verspätung - Linie 21 an der Stresemannalle vor der Nase weg... 10min bis zur nächsten. Also in die 12, rappelvoll, weil zuvor zwei Züge ausgefallen, dazu grölende Karnevalshorden und die üblichen Verwahrlosten, die zwanghaft versuchen, einem die aus dem Mülleimer gefischten Überreste von Fastnachtskrapfen zu verkaufen.
Ende vom Ganzen - ca. 30min gebraucht zu 2,75€ einfache Fahrt.
Zurück dann nach 22 Uhr - 30min-Takt mit 17min Umstieg - fast eine Stunde bis nach Hause für nochmals 2,75€.
Macht insgesamt knapp 90min verschwendete Lebenszeit und gefühlte Gefahr für läppische 5,50€

Da könnte man sich ja glatt überlegen, auch des morgens zur Arbeit - zumal vom AG gesponsert (JobTicket), auf die eigene Karre zu verzichten und stattdessen mit Bus und S-Bahn anzureisen...
Dumm nur, dass die Stechuhr bis spätestens 5 Uhr früh bedient worden sein muss und die erste S-Bahn erst um 5:18 Uhr ankommt, zudem vom S-Bahnhof aus noch ca. 20min Busfahrt anstehen... Alternativ kann man ja auch mit Nachtbus rund 2h durch die Gegend gurken, statt sich zuhause ins warme Bett zu kuscheln, um pünktlich anzukommen.

Ich habe nun schon einiges an Nahverkehren erlebt, angefangen von Köln - lief gar nicht, vor allem Wochentags nach 20 Uhr - über Berlin - ging völlig ohne Auto, auch wenn anfangs Nachtverkehr ein Fremdwort war und auch heute zeitweise ob kreativer Linienführung noch hakt - und London - hervorragend bzgl. Abdeckung und Taktfrequenz - und Amsterdam - zu sehr verwurschtelt in den Tarifen der einzelnen privaten Betreiber / Privatisierung at its worst - bis San Francisco, wo man den tatsächlich gut funktionierenden ÖPNV eigentlich nicht erwarten würde.
Allgemein stelle ich dabei fest, dass das Londoner Konzept, die einzelnen Verkehrsformen unter einem Dach (TfL) zusammenzufassen eigentlich am besten funktioniert und eine ordentliche Abstimmung aufeinander, sowie ein logisches und einfaches Tarifsystem ermöglicht, während man am niederländischen Beispiel eher das Gegenteil erkennt, dass die dortige Privatisierung ohne jeden Versuch von Harmonisierung zu einem Tarifwirrwar führt, indem sich einzelne Unternehmen an einem Verbundtarif beteiligen, andere wiederum nicht und der Fahrgast zum Teil für eine Strecke mehrere Fahrkarten benötigt, bzw. der Pendler mehrere Abos.
In DE erleben wir örtlich sehr unterschiedliche Konzepte, die aber häufig sehr kreativ sind in ihren Tarifstrukturen, wo z.B. inzwischen regelmäßig Flughäfen mit erhöhten Sondertarifen belegt werden, was nicht nur auswärtige Reisende verwirrt, sondern oft auch geziehlt in die Irre führt (speziell im numerischen Wabensystem Frankfurt), um nicht nur den höheren Ticketpreis, sondern auch gleich noch das erhöhte Beförderungsentgelt von 60€ kassieren zu können. Oft genug ist es der Kontrolleur, der den internationlen Gast in der um 17 Uhr rappelvollen S9, der sich die 5000er statt der 5039er Karte gezogen hat freudig mit dem "Willkommen in der Weltstadt Frankfurt am Main" begrüßt, "und jetzt macht das 60€ plus Strafanzeige!"

Aber hier schreibe ich ja immer noch von Luxus, von einem real existierenden Nahverkehr.
Auch das "platte Land" kenne ich recht gut, bin ich doch dort aufgewachsen und inzwischen wieder am Zurückkehren.
Dort ist tagsüber (8-18Uhr) schon ein 60min-Takt außergewöhnlich und hauptsächlich im Stadtkerngebiet des regionalen Unterzentrums anzutreffen. Aus der dörflichen Periferie fährt dort höchstens noch morgens ein Bus hin, nachmittags/frühabends einer zurück, von Dorf zu Dorf bedarf es Umsteigeverbindungen via Kernstadt, die, so denn überhaupt möglich, mit Wartezeiten von locker 3h aufwarten können.

Für solch eine Versorgung dann auch noch auf eine Strecke von 10km (5 Haltestellen!) 4,20€ (einfache Fahrt - Monatsabo zu 142€) zu verlangen ist dann schon fast frech.
(Ok, Taxi nimmt für die gleiche Strecke locker 35€...)

Tatsächlich brauchen wir in der gesamten Fläche einen funktionierenden und auf die Bedürfnisse der Bevölkerung zugeschnittenen Nahverkehr zu akzeptablen und der Leistung angemessenen Preisen.
Der kostenlose ÖPNV in Metropolregionen ist da nur ein Wassertropfen im Ozean, vor allem wenn, wie zu erwarten, die Qualität (und wohl auch Quantität (Taktung)) zwecks "Kostenoptimierung" dann zurückgefahren werden, anstelle des gerade zu Stoßzeiten ohnehin dringend nötigen Ausbaus.
Zu den Rush-hours bedarf es dort halt eines 2-5min-Taktes (siehe London), der dann den Rest des Tages auf 10min heruntergefahren werden kann, in den Randzonen auch auf 15-20min. Nachts durchgehend 30min-Takt mit sinnvollen Streckenführungen und getakter Verteilung in die Fläche, respektive tariflicher Einbindung von AST und Funkmietwagen.
Das ganze zu einem übersichtlichen und großräumig gefassten Tarif, unabhängig vom erbringenden Verkehrsträger/Verkehrsverbund/Betreiber (eine Fahrt - ein Ticket!).

Auf dem Land ist dringend eine Bedarfsevaluierung nötig, zudem evtl. ein generelles Umdenken in Richtung Bedarfsverkehre/Rufverkehre und weg von der angesichts des heutzutage miesen Angebots oft leeren Linie, bzw. Reaktivierung des seit den 1990ern massiv abgebauten Schienennahverkehrs (Schienenbusse) mit enger Taktung und angepassten Anschlüssen zur Verteilung.

Solange es aber an den grundlegenden Verkehrskonzepten hapert, dürfte auch die kostenlose Beförderung an der Akzeptanz des ÖPNV, von der oft mehr als mangelhaften Sauberkeit und Sicherheit gar nicht zu reden, relativ wenig ändern.

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