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  • demon driver

mehr als 1000 Beiträge seit 25.02.2000

In Sprache steckt mehr, als die "genaue" Übersetzung einzelner Sätze liefert

tcp_fin schrieb am 25. September 2005 10:32

> [...] Da kann ich absolut nicht zustimmen: die meisten Leser sind doch
> nicht in der Lage das Original zu lesen - und wenn der Uebersetzer
> seinen 'schriftstellerischen eigenen Ton' einbringt ist das
> bestenfalls eine Verfaelschung, schlimmstenfalls eine unauthorisierte
> Veraenderung.

> "So genau wie moeglich und so frei wie noetig!" [...]

Nö.

Was Appleton meint, und ich denke, wenn das mal klar wird, kann man
auch gar nichts anderes als ihm zuzustimmen (abseits anderer Details
wie seinem absurden Postulat, Geschlecht und Alter eines Autors zum
Zeitpunkt des Geschriebenhabens seien immer irgendwie "erkennbar"),
ist ganz einfach dass eine "gute" Übersetzung eben gerade nicht
dadurch entsteht, dass jeder Satz für sich genommen möglichst genau
übersetzt wird, sondern dadurch, dass die vermittelte Stimmung, die
Atmosphäre ganzer Passagen dem Original möglichst nahekommt, und dass
die Übersetzung darin zuverlässig und konsistent bleibt. Das lässt
sich durch an den Wörtern und Sätzen haftenbleibende exaktestmögliche
Translation nicht erreichen.

Ein besonders deutliches Beispiel dafür ist die Verwendung
regionalsprachlicher Besonderheiten oder gar Dialektformen im z.B.
englischen Original, z.B. in der wörtlichen Rede. Hier ist eine
"exakte" Übersetzung schlicht unmöglich, und wie "gut" die
Übersetzung wird, kommt darauf an, wie erfolgreich der Übersetzer die
Aufgabe löst, die mit den regionalsprachlichen Besonderheiten im
Englischen verknüpften nonverbalen Assoziationen, Eindrücke,
Stimmungen, Mentalitäten zu transportieren. Was macht der Übersetzer
aus einem rotzig-frechen Cockney? Wie übersetzt er einen rustikalen
Yorkshire-Dialekt? Er muss da immer etwas hinzuerfinden, denn die
wörtliche Übersetzung ins Hochdeutsch funktioniert in solchen Fällen
nicht. Ein weiteres Beispiel sind die so gefürchteten Wortspiele, die
oftmals einfach nicht übertragbar sind.

Der Witz ist nun aber, dass auch sauberstes, nicht-dialektförmiges,
technisch durchaus wörtlich übersetzbares Englisch (oder jede andere
Sprache) vom Autor beabsichtigte Assoziationen, Eindrücke, Stimmungen
vermittelt, die von einer "nur" besonders exakten Übersetzung nicht
transportiert werden. Sprache ist eben viel mehr als an Wort und Satz
orientierte Syntax und Semantik: dies einer der Gründe, warum es
selbst dann, wenn man dort zumindest endlich einmal Syntax und
Semantik im Griff hat, trotzdem in der absehbaren Zukunft keine
"guten" Übersetzungsmaschinen geben kann und wird.

Gruß,
d. d.

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