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Avatar von auf_der_hut
  • auf_der_hut

mehr als 1000 Beiträge seit 07.05.2008

Re: Ich glaube die Fähigkeiten der USA werden überschätzt

Die USA selbst behaupten ja auch nicht, dass sie diese Fähigkeit besitzen noch dass sie sie anstreben.

Die eigentlich interessante Veränderung ist, dass die USA die nukleare Bedrohung für ihre Verbündeten in Europa nicht mehr mit eigenen Atomwaffen kontern, sondern mit konventionellen Präzisionswaffen. In den USA ist man zu dem Schluss gekommen, dass die nuklearen US-Garantien für Europa so unglaubwürdig sind, dass Russland sich eingeladen fühlen könnte, sie zu testen. Die USA wollen nicht vor die Wahl gestellt werden, einen russischen Atomschlag gegen Warschau oder Berlin einfach hinnehmen zu müssen oder durch einen nuklearen Gegenschlag die eigene Existenz aufs Spiel zu setzen.

Besonders deutlich wurde dieses Dilemma, als Russland wohl sehr ernsthaft mit dem Einsatz taktischer Atomwaffen gegen die Ukraine drohte, um den Abzug ihrer in Cherson eingeschlossenen Truppen über den Dnjepr zu decken. Die USA mussten erkennen, dass ihnen für eine glaubwürdige Gegendrohung die Mittel fehlen und so intervenierten sie bei der ukrainischen Führung, die die Russen daraufhin unbehelligt und mitsamt ihrer Ausrüstung abziehen ließ.

Die konventionellen Mittelstreckenwaffen, die jetzt in Deutschland aufgestellt werden, richten sich zwar nach Art und Umfang auch gegen die Atomwaffen, die auf Europa gerichtet sind. Dass sie aber dazu dienen sollen, alle "Startrampen" der Russen zu eliminieren ist völliger Humbug, unrealistisch und auch absurd, weil die Russen mit U-Booten und strategischen Bombern eine gesicherte Zweitschlagfähigkeit besitzen. Ein großer Teil ihrer "Startrampen" ist außerdem mobil und auch von daher kaum mit einem Schlag vollständig auszuschalten.

Spätestens die Stationierung von nuklear angetriebenen Marschflugkörpern (Burewestnik), von Experten treffend als "fliegendes Tschernobyl" bezeichnet, zwingen die USA sich Mittel zu verschaffen, so eine "Dr Seltsam"-Waffe noch vor dem Start ausschalten bzw. abfangen zu können, bevor Russland die ein paarmal um den Globus fliegen lässt und die ganze Atmosphäre mit Radionukliden verseucht. Man muss sich bei solchen "Wunderwaffen" schon fragen, in welchen kranken Hirnen solche Ideen überhaupt entstehen und welchen Vorteil sich Russland von solchen "Nach-uns-die-Sintflut"-Systemen verspricht. Die Burewestnik ist ja nicht die einzige Waffe aus diesem russischen Gruselkabinett, dazu zählen auch Torpedos, die Tsunamis auslösen oder Weltraumwaffen, die den erdnahen Weltraum für Satelliten unbrauchbar machen sollen. Dass die USA zumindest Handlungsoptionen haben wollen, wenn Russland solche Waffen zum Start vorbereitet oder damit droht, finde ich nachvollziehbar. Deshalb auch die Aufrüstung von Aufklärungs- und Abfangsystemen. Daran müsste eigentlich die ganze Welt ein Interesse haben. Dass diese Waffen alles andere als sicher in der Handhabung sind zeigt eine lange Reihe von tödlichen Unfällen in Russland, z.B. der Untergang der "Kursk".

Spätestens seit 9/11 ist es erklärte US-Politik, keine Atomwaffen mehr außerhalb der USA zu stationieren oder zu lagern. Man sieht darin eher eine Gefahr als einen Sicherheitsgewinn für die USA. Die einzige Ausnahme sind die Atombomben der "nuklearen Teilhabe" in einer Handvoll NATO-Ländern, u.a. in Deutschland. Gut möglich, dass auch die bald als überflüssig und nicht im Interesse der USA angesehen werden. Die ganze Atombewaffnung gilt in den USA als teures, allerdings derzeit noch notwendiges Übel, weil man zig-Milliarden für Waffen investieren muss, die über Jahrzehnte sicher zu lagern, vor Missbrauch zu schützen und Am Ende zu entsorgen eine erhebliche Herausforderung für die Sicherheit der USA darstellt. Auf dieser Linie lag auch die Initiative Barak Obamas, die Atomwaffen ganz abzuschaffen. Die neuen US-Atomwaffen sind ein reiner Ersatz für "end-of-life"-Systeme (die US-Atomwaffenträger sind 30 und mehr Jahre alt) ohne wesentliche neue Fähigkeiten. Entwicklungsziele sind vor allem Kosteneffizienz, lange Lebensdauer und die Sicherheit bei Lagerung und Transport.

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