Re: Der Aufschrei ist richtig

JohnDoe777 schrieb am 29.05.2024 16:10:

Wenn ich mir dessen bewusst bin, dass alles, selbst Dinge, die im Rahmen einer geschlossenen Gesellschaft, grundsätzlich der ganzen Welt innerhalb von 30 Sekunden bekannt gemacht werden können, dann ist das nicht nur abschreckend, sondern so werden Echokammern ausgetrocknet. Wenn sich in der Burschenschaft abends um halb zwölf niemand mehr traut, den Arm zu heben, weil das ja morgen schon auf Youtube zu sehen sein könnte, dann wird solches Verhalten abnehmen.

Das Problem seh ich schon seit 20 Jahren. Zunächst ist es so, dass der Mensch nur in diesen übergroßen Gruppen leben kann, weil sich mit Beginn der Zivilisation auch die Spaltung in Innen und Außen entwickelt hat. "Außen" wird benötigt, damit die Gesellschaft funktioniert, sprich alle brav dem König und den Priestern gehorchen und den Göttern Wohlgefallen bereiten. "Innen" wird benötigt, weil es eben immer noch das Bedürfnis gibt, sich ab und zu mal mit Drogen wegzuballern oder sich in rosa Dessous von breitschultrigen Kerlen rannehmen zu lassen. Daher lassen üblicherweise auch Systeme wie das der Taliban diese Zone zu. Die Regel ist, dass man nach außen hin weiterhin brav das gottesfürchtige, hochgeschätzte Mitglied der Gesellschaft darstellt und über das, was man sonst noch so treibt, schweigt. Das war hier früher auch so. Man konnte hier völlig ohne Probleme gleichgeschlechtlich zusammenleben, solange man halt irgendeine offizielle Erklärung hatte, die zwar wenig glaubwürdig war, aber nicht "schwul" lautete.

Mit der Omnipräsenz dieser Medien wird dieser über 10.000 Jahre alte Konsens im Grunde aufgebrochen. Das Private wird öffentlich, die Rückzugsräume aufgehoben. Veranstaltungen wie Karneval oder auch ein feuchtfröhliches Fest dienten ja genau dazu, dass man mal ausbrechen durfte aus dem jeweiligen Korsett.
Die Frage ist jetzt, was passiert. Das solches Verhalten abnimmt passiert eher in Deiner Fantasie, weil die Menschen vorher allesamt austicken werden, wenn sie, anders als früher, in jedem Aspekt ihres Lebens konform sein müssen. Andere Möglichkeiten sind Fragmentierung oder aber auch, dass es uns irgendwann egal wird, was die anderen treiben.