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  • Maxim Issajew

mehr als 1000 Beiträge seit 12.04.2018

Re: Elektronische Kriegsführung überlistet

Adrian_E schrieb am 18.09.2018 20:53:

Ich kenne mich da nicht aus, aber in einem englischsprachigen Forum habe ich gelesen, dass S-200 bezüglich der Freund-Feind-Erkennung ziemlich primitiv ist. S-200 kann zwar recht gut darin sein, alles, was entgegenkommt, anzugreifen, aber wenn es einerseits kleinere Objekte (in dem Fall die israelischen Flugzeuge) und ein größeres (das russische) gibt, die nahe beieinander sind, wird mit großer Wahrscheinlichkeit das größere Objekt angesteuert.

Das hat nichts mit der Freund-Feind-Erkennung zu tun, sondern mit dem Auflösungsermögen. Das Auflösungsermögen sagt aus, wie weit zwei Ziele voneinander entfernt sein müssen, damit sie noch als zwei und nicht als ein Ziel erkannt werden.
Dabei wird zwischen der Winkel- und der Entfernungsauflösung unterschieden.
Die Winkelauflösung hängt von der Breite des Suchstrahls und der Entfernung des Ziels ab. Das Zielbeleuchtungsradar 5Н62 der S-200 hat einen Öffnungswinkel von 1,4°. Grob überschlägig ergibt das bei einer Zielentfernung von 10 km eine Auflösung von 120 m. Das bedeutet, das zwei Ziele, die in einem Abstand von weniger als 120 m nebeneinander fliegen, als ein Ziel "erkannt" werden. Bei 20 km sind es rund 250 m, bei 50 km rund 600 m und auf die maximale Kampfentfernung von 180 km etwas mehr als 2 km. Da muss man wirklich nicht mehr ganz dicht zusammenfliegen ...
Da es sich um das Zielbeleuchtungsradar handelt, werden zwei in gleicher Entfernung innerhalb des Auflösungsvermögens fliegende Luftziele gleichzeitig angestrahlt, ganz egal, welches von beiden anvisiert werden sollte. Die reflektierten Signale werden vom Zielsuchlenkkopf des Lenkflugkörpers empfangen, und deren Winkelauflösung ist noch einmal viel schlechter. Der Öffnungswinkel der Antenne ist nämlich umgekehrt proportional zum Durchmesser der Antenne, und diesem Durchmesser sind durch die Größe des Lenkflugkörpers Grenzen gesetzt.
Der Lenkflugkörper wird nun auf das Strahlungsmaximum dieses virtuellen Ziels, das eigentlich aus zwei Zielen besteht, fliegen. Sind beide Ziele gleich groß, dann fliegt er unter Umständen genau durch die Mitte durch. Ist wie hier eines der beiden Ziele viel größer, wird der Lenkflugkörper im Endanflug, wenn das Auflösungsermögen aufgrund der verringerten Entfernung deutlich besser ist, auf das mit der größeren Rückstrahlfläche fliegen. (Mal grob überschlagen, wenn man für den Öffnungswinkel der Antenne rund 20 Grad annimmt, was ziemlich schlecht wäre, kommt man bei einer Entfernung vom Ziel von 500 m auf ein Auflösungsvermögen von rund 80 m, da kann der Lenkflugkörper dann die IL-20 von der 250 m neben ihr fliegenden F-16 unterscheiden - und wird sich für die Iljuschin entscheiden.)
Gibt es natürlich noch die Entfernungsauflösung. Die hängt von der Impulslänge ab: je kürzer der Impuls, desto besser die Auflösung, aber auch umso geringer die Reichweite. Für das Zielbeleuchtungsradar der S-200 spielt das jedoch keine Rolle: es ist ein sogenanntes Dauerstrichradar. Es gibt keine Impulse, bzw. der "Impuls" ist unendlich und damit die Auflösung bei Null. Das Radar kann aus gleichen Höhen- und Seitenwinkel anfliegende Ziele, die hintereinander fliegen, überhaupt nicht unterscheiden.
Und jetzt kommen wir zum Problem der S-200, das sich schon beim Sibir-Flug gezeigt hat: das Radar begleitet ein nahes Luftziel. Jetzt erscheint in deutlich größerer Entfernung, aber bei einem fast gleichen Seiten- und Höhenwinkel ein weiteres Luftziel. Da der Winkelabstand beider Ziele kleiner als die Winkelauflösung ist, und nach der Entfernung nicht aufgelöst wird, werden aus zwei Luftzielen plötzlich eins. Jetzt fliegen die Luftziele wieder voneinander weg, der Winkelabstand wird größer als die Winkelauflösung, aus einem Ziel werden für den Lenkflugkörper wieder zwei. Er muss sich nun dafür entscheiden, welches es weiter erfolgt. Er wird das mit der größeren Reflektionsfläche nehmen, und wenn das das hintere ist, wird er es nun weiter begleiten (und abschießen): er hat also unabsichtlich das Ziel gewechselt.
Mögliches Szenario: F-16 fliegt an, wird aufgefasst und der Lenkflugkörper wird gestartet. Jetzt kreuzt 10 km hinter der F-16 die IL-20 den Sektor, hat die größere Reflektionsfläche und wird nun von dem Lenkflugkörper weiter begleitet. Ende bekannt,
Die FlaRak-Besatzung trifft keine Schuld, die hat die F-16 aufgefasst und konnte nicht ahnen, das da plötzlich eine Il-20 kreuzt. Der Pilot der Il-20 hatte aber auch keine Chance, selbst wenn er die F-16 gesehen hat, konnte er unmöglich wissen, ob und wann er aus Sicht der S-200 hinter die F-16 gerät.

Und genau das ist der Grund, warum eigene Flugzeuge nicht dort fliegen sollten, wo die eigene Fla-Rak hinschießt. Bei modernen Waffensystemen ist das etwas besser, aber unfehlbar sind die auch nicht.

Und die Freund-Feind-Kennung spielt insofern keine Rolle, weil die nach dem Start des Lenkflugkörpers gar nicht mehr ins Spiel kommt.

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