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  • Schaulustiger

550 Beiträge seit 19.05.2004

Lyssenkoismus - Zahlen bitte

Es gibt interessante Parallelen zwischen dem Fall Birbaumer und dem Fall von Trofim Denissowitsch Lyssenko, der unter Stalin der wichtigste Agrarwissenschaftler wurde und bis in die 60er Jahre hinein die Agrarpolitik der Sowjetunion bestimmte. Lyssenko ging davon aus, dass Genetik purer Unsinn sei und man verschiedene Getreidesorten durch geeignete Kulturbedingungen ineinander umwandeln könne.

Jetzt sollte man meinen, dass in einem aufgeklärten, wissenschaftlichen Betrieb eine solche Scharlatanerie ziemlich schnell auffliegen würde. Allerdings hatte Lyssenko anfangs Rückendeckung durch Stalin. Lyssenko stammte aus einfachen bäuerlichen Verhältnissen, während die meisten Wissenschaftler aus bürgerlichen Verhältnissen kamen und deshalb bereits "suspekt" waren. Mit steigendem Einfluss lies Lyssenko zunehmend Kritiker in Straflagern verschwinden. Misserfolge führte er erfolgreich auf Sabotage zurück, was wiederum zu neuen Insaßen für die Straflager führte.

Unterstützt wurde er durch den sowjetischen Propaganda-Apparat, der Misserfolge verschwieg und Erfolge hochjubelte. Die unsinnigen, widersprüchlichen Aussagen Lyssenkos wurden mit gefälschten Experimenten und Befragungen unter Landwirten untermauert.

Teilweise produzierte Lyssenko in einem solch hohen Tempo unsinnige Theorien, dass mdie Wissenschaftler mit der Überprüfung nicht mehr nachkamen: "Er entwickelte seine Ideen – die Vernalisation, das Blätterabschneiden bei Baumwollpflanzen, die gruppenweise Anpflanzung von Bäumen bis hin zu merkwürdigen Düngermischungen – in einem so hohen Tempo, dass die akademischen Wissenschaftler kaum Zeit hatten, diese teilweise unnützen und oftmals gefährlichen Lehren zu untersuchen und gegebenenfalls zu widerlegen." (Wikipedia, Lyssenkoismus)

Lyssenko bot nach der Sowjetunion einfache und schnelle Lösungen an, um eine "landwirtschaftliche Revolution" durchführen zu können, während die klassische Wissenschaft keine schnellen, einfachen Lösungen bieten konnte. Zusammen mit der politischen Unterstützung bestimmte Lyssenko 30 Jahre lang die landwirtschaftlichen Geschicke der Sowjetunion. Die Kombination "einfache Lösungen" und "politische Ideologie" ist auch heute noch eine recht potente Methode, um es in der Politik weit zu bringen.

"Heute bezeichnet man mit dem Begriff „Lyssenkoismus“ in einem breiteren Sinn auch allgemein die politische Förderung pseudo- oder unwissenschaftlicher Thesen und die Behinderung der freien Wissenschaftsentfaltung durch die Politik." (Wikipedia, Lyssenkoismus) Und wenn einem das irgendwie dann doch sehr bekannt vorkommt, obwohl wir alle nicht in der Sowjetunion leben...

Danke an Heise und Detlef Borchers, für den Hinweis in der aktuellen Folge von "Zahlen, bitte"

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