Ansicht umschalten
Avatar von ALomax
  • ALomax

mehr als 1000 Beiträge seit 02.06.2014

Re: Bitte nicht alles in einen Topf

In welchem Punkt vergleichbar, macht das Virus Unterschiede zwischen den Ländern? Wäre mir neu und müsste auch wissenschaftlich erklärt werden.

Das Virus macht keine Unterschiede. Aber die Verhältnisse vor Ort und die Erhebung der Zahlen sehr wohl. Was Russland angeht - Abweichungen in der Lethalität gibt es auch zu anderen Ländern, man müsste also nach den Ursachen schauen.

Die üblichen Verdächtigen für verringerte Lethalitäte wären zunächst mal die "Dunkelziffer" - was bedeuten würde, dass die in Russland geringer ist. Schwer vorstellbar, weil sie ja von den Testzahlen abhängt. Bessere Behandlung ... kann man sich auch kaum vorstellen, weil von Geld abhängig. Ein bekannter Faktor, der über die Lethalität entscheidet, ist der Schutz der Risikogruppen (und dementsprechend der demografische Faktor, also wie viele alte Leute/Risikopatienten es gemessen an der Gesamtbevölkerung überhaupt gibt). Erschließt sich zumindest auch nicht auf den ersten Blick, dass das in Russland so eine Rolle spielt.
Alternative Ansätze wie beispielseweise genetische Anfälligkeit oder Vorimmunisierung durch regelmäßige Infektionen mit anderen Corona-Infektionen wurden immer wieder diskutiert bei auffälligen Abweichungen, wie beispielsweise Italien/Deutschland zu beginn der Welle. Aber erwiesen sich ebenso regelmäßig als falsch. Ich wäre also zurückhaltend, diese Theorie bei Russland wieder aufzubringen - hat so was von einem Lückenfüller, wenn man die Ursache einfach nicht kennt.
Bleibt als wahrscheinlichste Erklärung einfach die Zählweise der Corona-Toten. Die schwer zu evaluieren ist, da Russland kein offenes System ist und dementsprechend schwerer zu durchschauen - an der Stelle kommt der Faktor der Vergleichbarkeit ins Spiel.
Aber der eigentliche Stand der Dinge ist, man kann nicht genau sagen, warum Russland bei den Lethalitätsquoten besser aussieht als andere Länder, und deswegen sollte man vorsichtig sein, daraus irgendwelche Schlussfolgerungen abzuleiten, sowohl positive wie negative. Wie schnell das in die Irre geht, kann man schon in Deutschland selbst sehen - da waren die Lethalitäts-Quoten am Anfang auch sensationell günstig im internationalen Vergleich, und was wurde da nicht alles über deutsche Besonderheiten spekuliert. Bis die Quoten sich dann innerhalb von einer guten Woche verdreifacht haben und Deutschland jetzt im internationalen Mittelwert liegt. Also, ist nichts mit besonderen Faktoren - einfach nur Glück gehabt am Anfang, dass sich hauptsächlich gesunde Berufstätige und junge Party-People infiziert hatten und die Statistik einfach ein paar Wochen schöner aussah.

Na, wie schön, keiner weiss, was wie geholfen haben soll, aber alle sollen das nachmachen?

Ja, nu - keiner weiß genau, was geholfen hat. Aber man weiß, dass alles zusammen geholfen hat. Also war die Gesamtheit der Maßnahmen schon mal besser, als wenn man weniger getan und die wichtigen Maßnahmen dabei zufällig nicht getroffen hätte.

Ansonsten experimentiert man derzeit ja reichlich, um die wirksamen Maßnahmen einzugrenzen. Und gerade wenn man sehen will, was wirkt, ist es besonders sinnvoll, nicht zu viel auf einmal abzuschaffen, sondern erst mal die Auswirkung von einzelnen Änderungen zu beobachten.

Dass ein paar irrationale Punkte bleiben, ist klar. Wie beispielsweise die Hygiene- und Desinfektions-Konzepte, nachdem inzwischen hinreichend validiert ist, dass Schmierinfektionen keine nennenswerte Rolle beim Infektionsgeschehen spielen. Trotzdem tut sich die Politik erstaunlich schwer damit, an dieser Stelle zu lockern. Vermutlich, weil diese Maßnahmen so schön einfach sind und auf billige Weise beruhigend wirken - gerade dann, wenn man die ernsthaft wirksamen Maßnahmen nicht einhalten kann oder will (und, ja - Stichwort "Schule").
Ist jetzt aber auch kein beispielloses Drama, sondern eher normales Verhalten. Zu beobachten im Flugverkehr. Wie viele Sicherheitsmaßnahmen wurden da panisch eingeführt, bald als ziemlich nutzlos identifiziert - und bleiben trotzdem jahrelang kleben?
Es fällt Entscheidungsträgern halt immer schwer, Fehler zuzugeben, gerade dann, und anscheinend gerade dann, wenn die Entscheidungen schon von Anfang an auf wackeligen Füßen standen und unter Experten umstritten waren (Was die Desinfektionsregeln auch mit den Flüssigkeitsregeln im Flughafen gemeinsam hatten).

Zumindest ist die Wirtschaft in Schweden nicht so eingebrochen wie bei uns und im Rest der EU. Die Infizierten interessieren mich ehrlich gesagt überhaupt nicht mehr, entweder schwer erkrankt oder gestorben,

Was die Wirtschaft angeht, hab ich zuletzt anderes gehört - Schweden leidet da nicht nennenswert weniger als Länder mit strikteren Maßnahmen. Und gerade die Todeszahlen sind halt extrem schlecht dort - in relativen Zahlen (was aber eigentlich kaum mit der Ausbreitungsstrategie zu tun haben kann, aber wohl damit, dass der ursprüngliche Plan, Risikogruppen gezielt zu schützen, gründlich in die Hose ging) wie auch in absoluten Zahlen verglichen mit Ländern in ähnlicher Situation, was geographische Lage, Bevölkerungsstrutkur und Einwohnerzahl angeht.
Hat ja schon seinen Grund, warum die skandinavischen Nachbarn sich besonders deutlich von Schweden abgrenzen.

Am meisten nervt mich, das offenbar niemand an die Kinder denkt, denen massiv die Rechte vorenthalten wurden, obwohl schnell fest stand, das die gar nicht betroffen sind von dem Virus.

Es geht nicht um persönliche Betroffenheit, es geht um Verbreitung. Und auf dem Gebiet erfüllen Schulen nun mal alle Kriterien für ansonsten verbotene Super-Spreading-Ereignisse. Viele Leute auf engem Raum, lautes Sprechen. Hinzu kommt, dass Abstandsregeln bei Kindern kaum zu vermitteln sind.
Die erste wissenschaftliche Studie, die zumindest korrelativ belegte, dass Kinder möglicherweise an der Infektionsverbreitung eine geringere Rolle spielen als Erwachsene, erschien erst vor Kurzen - nach der Öffnung von Schulen auf Grundlage einer solchen Annahme, die zu dem Zeitpunkt noch im Widerspruch zu allen wissenschaftlichen Evaluationen stand.
Man kann also kaum sagen, dass die Politik da zu zurückhaltend vorgeht; im Gegenteil verglichen mit anderen Lockerungen deutlich zu forsch, gerade wegen des Drucks von den Eltern ("aus Rücksicht aufs Kindeswohl" will ich jetzt nicht annehmen, dazu ist die Umsetzung deutlich zu schwachsinnig).
Das Hauptproblem bei Schulen ist die Organisation. Muss das wirklich sein, dass alle Änderungen zwei Tage vorher angekündigt werden? Ein längerfristiges Konzept wäre schön. Ich persönlich denke ja immer noch, die komplette Öffnung der Grundschulen vor den Sommerferien war vor allem als Experiment gedacht, um mal zu testen, ob es geht - wenn's schiefläuft, kommen die Familien während der Ferien in Quarantäne, und es ist kein großer Schaden angerichtet. Wenn's gut geht, hat man Daten, anhand derer man dann während der Ferien die Strategie ausrichten kann.
Mal sehen, was dabei herauskommt und ob die Strategie funktioniert. Aber ob man dabei wirklich zuvorderst an die Kinder und Familien gedacht hat, mag ich doch sehr bezweifeln. Und unterm Strich kann man sagen, dass es natürlich leichter wäre, die Schulen verantwortungsvoll im Normalbetrieb zu öffnen, wenn da nicht 33 Schüler in einem engen Klassenraum gestapelt säßen. Das würde dann wirklich mal den Kindern helfen, die Betreuung brauchen - und zwar nicht nur zur Corona-Zeit, sondern dauerhaft.

Bewerten
- +
Ansicht umschalten