Was will man denn von einem Gutachten erwarten, das sich im wesentlichen auf ein kurzes Gespräch von 30 bis 60 Minuten zwischen Gutachter und Begutachtetem sowie einer Prozessakte aus einem laufenden, noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren erwarten? Wenn ich das richtig mitbekommen habe, dann kannte der Gutachter nich nicht einmal die Vorgeschichte, also die Messerstechereien in NRW.
Ich habe früher in einem anderen Zusammenhang psychologische Gutachten lesen müssen und war immer wieder davon erschüttert, auf welche Oberflächlichkeiten sich diese Gutachten stützten. Da wird ernsthaft seitenlang darüber sinniert, was die Kleidung, in der der zu Begutachtende zu dem Termin erschienen ist, sinniert und darüber, wie er sich während eines einzigen halbstündigen Gesprächs verhalten hat. Das ist aber keine seriöse Basis für ein Gutachten über eine Persönlichkeit. Häufig stützen sich psychiatrische und psychologische Gutachter allein darauf, ob der Patient gerade einen guten oder einen schlechten Moment erwischt hat.
Das Problem ist einfach, dass es höchst problematisch ist, einen in U-Haft sitzenden Tatverdächtigen psychologisch zu begutachten. Solange jemand noch nicht rechtskräftig verurteilt ist, kann man ihn nicht mit einer Tat konfrontieren, die zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht erwiesen ist. Wenn man wissen will, ob von Untersuchungshäftlingen für den Fall, dass sie aus der U-Haft entlassen werden, eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht, dann müsste man sie vom ersten Tag der U-Haft an psychiatrisch untersuchen und praktisch laufend Gespräche mit ihnen führen, um Zufallsergebnisse dadurch, dass der Betroffene gerade einen guten Tag hat, auszuschließen. Man braucht also eine von der Tat, wegen der der Häftling angeklagt ist, völlig unabhängige faktische Grundlage für die Begutachtung. Dafür haben wir aber zu wenig Psychiater und Psychologen.