spinning schrieb am 4. Mai 2004 12:36
> Hallo ximu,
>
> gibt es dazu online eine engl. oder gar deut. Übersetzung oder
> wenigstens Beschreibung?
> Ich glaube aus dem was ich bisher über die traditinelle Rechtspflege
> in China mitbekommen habe (von der heutigen will ich lieber nicht
> reden) gibt es einige fundamentale Unterschiede zu dem was sich
> historisch im europäischen Raum (auch mit vielen barbarischen
> Rückschlägen ) gebildet hat.
> Tatsache ist zumindest, dass in der Praxis heute jeder
> Europäer weiss, dass es gewisse Rechtsmasstäbe gibt an die sich jeder
> ausnahmslos halten muss. Ob einfacher Bürger, Beamter, Bonze oder
> Polizist/Soldat. Und jeder Europäer hat zumindest eine ungefähre
> Vorstellung davon was diese Gesetze umfassen und beeinhalten und
> jeder weiss, dass er immer im Zweifelsfall gegen jeden vor Gericht
> ziehen kann.
> Das ist in China völlig anders. Da hat in der täglichen Praxis Recht
> wer die einflussreicheren "Freunde" hat und ich bezweifle ob das
> jemals anders war.
Ich stimme dir zu, dass das Rechtsverstaendnis von Europaern und
Chinesen sehr unterschiedlich ist.
Worum es mir in meiner Antwort ging, war die Frage nach der Anarchie.
Diese herrscht vielleicht zwischen gleichmaechtigen Buergern in
China, keineswegs aber in Fragen, die Interessen des Staates
tangieren, ganz egal wie einflussreich die Freunde des einen Buergers
sind. Deswegen habe ich deine Aussage kritisiert, China sei kein
autoritaerer Staat.
Ich habe in Freiburg bei Professor von Senger studiert, mit dem ich
weitgehend uebereinstimme, was die chinesische Rechtsgeschichte
betrifft. Es gibt ein Buch von ihm, "Einfuehrung in das chinesische
Recht", das ist aber eher fuer ein Fachpublikum. Im Folgenden zitiere
ich einen Forumsbeitrag zum Thema von Harro von Senger, Quelle:
http://www.jura.uni-freiburg.de/einrichtungen/gfr/freiburg1999/rechts
geschichte.htm
Auch sehr empfehlenswert, wenn auch in englisch ist ein Buch von
einem internationalen Experten, Stanley Lubman: Bird in a Cage (1999)
Besten Gruss
ximu
Professor Harro von Senger, Freiburg, analysierte die Herkunft des
heute in der VR China geltenden Rechts und seine Beziehung zum
traditionellen chinesischen Rechtsverständnis. Ugo Mattei
widersprechend, der China als ein Land bezeichnet hat, in dem
traditionelle philosophisch- verhaltenssteuernde Normen maßgeblich
seien, schloß er seine Ausführungen an den Pekinger Rechtsprofessor
Shen Zongling an, nach dem Chinas Recht heute einen pluralistischen
Charakter habe, der von traditionellen chinesischen, westlichen und
sowjetrussischen Einflüssen geprägt sei, bei dem jedoch die
Hauptkomponente die sozialistisch-chinesische Rechtskultur sei, die
maßgeblich durch die Deng Xiaoping-Theorie bestimmt würde, die das
Programm des Marxismus-Leninismus mit den Zuständen und Problemen des
heutigen China verbunden habe. Von Senger wies zunächst als weitere
Rechtsquelle auf das UN-Recht hin, das in China zunehmend Bedeutung
gewönne, und wandte sich dann der Sinisierung des Marxismus zu. Diese
bestehe 1. aus der Übersetzung deutscher und russischer Originale ins
Chinesische, 2. aus der von Mao vorgenommenen Komprimierung zentraler
marxistischer Gedanken in Form von griffigen altüberlieferten
chinesischen Wendungen 3. in der Illustrierung und Popularisierung
zahlreicher Gedankengänge unter Rückgriff auf bekannte chinesische
Geschichten und Anekdoten aus der chinesischen Historiographie und
Literatur und 4. die von Mao und Deng vorangetriebene Ausdünnung auf
ziemlich inhaltsleere, aber effiziente Methoden zur Steuerung des
Denkens und Arbeitens. – Der Einfluß des sowjetischen Rechts sei
besonders in den 50jahren beherrschend gewesen, aber bis heute
besonders im Verfassungsrecht prägend (z.B. Diktatur des
Proletariats, Ablehnung einer Gewaltenteilung). Er sei begünstigt
worden durch das Weiterwirken von Vorstellungen, die China seit 2500
Jahren vertraut waren. Die damals entstandene Schule des Legismus
nämlich habe das Gesetzesrecht als reines Machtinstrument des Kaisers
aufgefaßt. Dieser stand über dem Gesetz, das nur ein Werkzeug war,
mit dem der Herrscher das Land stabilisieren und auf geordnete Weise
zu von ihm selber bestimmten Zielen hinführen sollte. Dieselben
Vorstellungen schienen sich bei der heutigen Rolle der
Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) widerzuspiegeln, die über dem
Gesetz stehe und je nach Bedürfnis alles zum Gesetz machen könne,
wobei das Recht ebenfalls nur der Erreichung eines von der KPCh
gesetzten Ziels diene, nicht etwa der Selbstverwirklichung der
Menschen in China, eine eminente Parallele zum Legismus. Ferner wies
von Senger auf Kongruenzen zwischen Konfuzianismus und marxistischer
Rechtskultur hin und nannte als Beispiel daß das Recht nur ein
Notbehelf zur Durchsetzung der konfuzianischen Ethik und das Vorbild
tugendhafter Herrscher viel wichtiger war. Das Recht sei nur ein
Mittel unter mehreren, das Volk zu korrektem Verhalten anzuhalten.
Ähnlich sei auch für den Marxismus das Gesetzesrecht nur eines der
auf die Basis zurückstrahlenden Elemente des Überbaus gewesen.
Insgesamt könne man zwar sagen, daß das legistische und das
konfuzianistische Erbe der Umsetzung des marxistischen Rechtssystems
in China Vorschub leiste, es ginge aber zu weit, zu behaupten, daß
die VR China der Herrschaft traditionellen Rechts unterliege.
> Hallo ximu,
>
> gibt es dazu online eine engl. oder gar deut. Übersetzung oder
> wenigstens Beschreibung?
> Ich glaube aus dem was ich bisher über die traditinelle Rechtspflege
> in China mitbekommen habe (von der heutigen will ich lieber nicht
> reden) gibt es einige fundamentale Unterschiede zu dem was sich
> historisch im europäischen Raum (auch mit vielen barbarischen
> Rückschlägen ) gebildet hat.
> Tatsache ist zumindest, dass in der Praxis heute jeder
> Europäer weiss, dass es gewisse Rechtsmasstäbe gibt an die sich jeder
> ausnahmslos halten muss. Ob einfacher Bürger, Beamter, Bonze oder
> Polizist/Soldat. Und jeder Europäer hat zumindest eine ungefähre
> Vorstellung davon was diese Gesetze umfassen und beeinhalten und
> jeder weiss, dass er immer im Zweifelsfall gegen jeden vor Gericht
> ziehen kann.
> Das ist in China völlig anders. Da hat in der täglichen Praxis Recht
> wer die einflussreicheren "Freunde" hat und ich bezweifle ob das
> jemals anders war.
Ich stimme dir zu, dass das Rechtsverstaendnis von Europaern und
Chinesen sehr unterschiedlich ist.
Worum es mir in meiner Antwort ging, war die Frage nach der Anarchie.
Diese herrscht vielleicht zwischen gleichmaechtigen Buergern in
China, keineswegs aber in Fragen, die Interessen des Staates
tangieren, ganz egal wie einflussreich die Freunde des einen Buergers
sind. Deswegen habe ich deine Aussage kritisiert, China sei kein
autoritaerer Staat.
Ich habe in Freiburg bei Professor von Senger studiert, mit dem ich
weitgehend uebereinstimme, was die chinesische Rechtsgeschichte
betrifft. Es gibt ein Buch von ihm, "Einfuehrung in das chinesische
Recht", das ist aber eher fuer ein Fachpublikum. Im Folgenden zitiere
ich einen Forumsbeitrag zum Thema von Harro von Senger, Quelle:
http://www.jura.uni-freiburg.de/einrichtungen/gfr/freiburg1999/rechts
geschichte.htm
Auch sehr empfehlenswert, wenn auch in englisch ist ein Buch von
einem internationalen Experten, Stanley Lubman: Bird in a Cage (1999)
Besten Gruss
ximu
Professor Harro von Senger, Freiburg, analysierte die Herkunft des
heute in der VR China geltenden Rechts und seine Beziehung zum
traditionellen chinesischen Rechtsverständnis. Ugo Mattei
widersprechend, der China als ein Land bezeichnet hat, in dem
traditionelle philosophisch- verhaltenssteuernde Normen maßgeblich
seien, schloß er seine Ausführungen an den Pekinger Rechtsprofessor
Shen Zongling an, nach dem Chinas Recht heute einen pluralistischen
Charakter habe, der von traditionellen chinesischen, westlichen und
sowjetrussischen Einflüssen geprägt sei, bei dem jedoch die
Hauptkomponente die sozialistisch-chinesische Rechtskultur sei, die
maßgeblich durch die Deng Xiaoping-Theorie bestimmt würde, die das
Programm des Marxismus-Leninismus mit den Zuständen und Problemen des
heutigen China verbunden habe. Von Senger wies zunächst als weitere
Rechtsquelle auf das UN-Recht hin, das in China zunehmend Bedeutung
gewönne, und wandte sich dann der Sinisierung des Marxismus zu. Diese
bestehe 1. aus der Übersetzung deutscher und russischer Originale ins
Chinesische, 2. aus der von Mao vorgenommenen Komprimierung zentraler
marxistischer Gedanken in Form von griffigen altüberlieferten
chinesischen Wendungen 3. in der Illustrierung und Popularisierung
zahlreicher Gedankengänge unter Rückgriff auf bekannte chinesische
Geschichten und Anekdoten aus der chinesischen Historiographie und
Literatur und 4. die von Mao und Deng vorangetriebene Ausdünnung auf
ziemlich inhaltsleere, aber effiziente Methoden zur Steuerung des
Denkens und Arbeitens. – Der Einfluß des sowjetischen Rechts sei
besonders in den 50jahren beherrschend gewesen, aber bis heute
besonders im Verfassungsrecht prägend (z.B. Diktatur des
Proletariats, Ablehnung einer Gewaltenteilung). Er sei begünstigt
worden durch das Weiterwirken von Vorstellungen, die China seit 2500
Jahren vertraut waren. Die damals entstandene Schule des Legismus
nämlich habe das Gesetzesrecht als reines Machtinstrument des Kaisers
aufgefaßt. Dieser stand über dem Gesetz, das nur ein Werkzeug war,
mit dem der Herrscher das Land stabilisieren und auf geordnete Weise
zu von ihm selber bestimmten Zielen hinführen sollte. Dieselben
Vorstellungen schienen sich bei der heutigen Rolle der
Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) widerzuspiegeln, die über dem
Gesetz stehe und je nach Bedürfnis alles zum Gesetz machen könne,
wobei das Recht ebenfalls nur der Erreichung eines von der KPCh
gesetzten Ziels diene, nicht etwa der Selbstverwirklichung der
Menschen in China, eine eminente Parallele zum Legismus. Ferner wies
von Senger auf Kongruenzen zwischen Konfuzianismus und marxistischer
Rechtskultur hin und nannte als Beispiel daß das Recht nur ein
Notbehelf zur Durchsetzung der konfuzianischen Ethik und das Vorbild
tugendhafter Herrscher viel wichtiger war. Das Recht sei nur ein
Mittel unter mehreren, das Volk zu korrektem Verhalten anzuhalten.
Ähnlich sei auch für den Marxismus das Gesetzesrecht nur eines der
auf die Basis zurückstrahlenden Elemente des Überbaus gewesen.
Insgesamt könne man zwar sagen, daß das legistische und das
konfuzianistische Erbe der Umsetzung des marxistischen Rechtssystems
in China Vorschub leiste, es ginge aber zu weit, zu behaupten, daß
die VR China der Herrschaft traditionellen Rechts unterliege.