Ansicht umschalten
Avatar von
  • unbekannter Benutzer

5 Beiträge seit 14.11.2001

Glaube und Frieden

In grauer Vorzeit hielten die Menschen alle Ereignisse und 
Erscheinungen der Natur, für die sie keine Erklärung hatten, für Folgen
von Handlungen übernatürlicher Kräfte, oder sie schrieben sie den
Göttern zu. Die gesamte Natur hatte etwas Göttliches, und deshalb wurde
sie als lebensspendend und lebenserhaltend geachtet und verehrt. 
Im Laufe der Evolution fanden die Menschen für immer mehr
Naturerscheinungen eine logische Erklärung, wodurch diese Erscheinungen
natürlich entmystifiziert und somit aus der Sphäre des Göttlichen
herausgelöst wurden. Ein weiterer Schritt war die Zusammenfassung der
vielen Götter zu einer übergeordneten Gottheit: es entstanden die
monotheistischen Religionen. Diese sind insbesondere dadurch
gekennzeichnet, dass nur noch ein göttliches Wesen anerkannt wird,
während alle anderen Götter als Götzen, also als "Ungötter" betrachtet
werden, deren Verehrung folglich eine Beleidigung des echten Gottes
darstellt.
Eine weitere Folge dieser Entwicklung: die Natur wird zunehmend
"entgöttlicht", das bedeutet, ihr wird zunehmend weniger Ehrfurcht und
folglich Achtung entgegengebracht. Der Mensch fühlt sich berechtigt,
die Natur immer mehr und immer rücksichtsloser für die eigenen
Bedürfnisse zu verwenden, zu manipulieren, schließlich zu zerstören:
"Machet euch die Erde untertan!"

Grundlage jeder Religion ist der Glaube. Was bedeutet nun, etwas
glauben?
Glauben bedeutet, dass man etwas für wahr hält, das man nicht
wissenschaftlich beweisen kann. Gründe dafür, dass man etwas nicht
beweisen kann, können sein:
- es ist noch kein erfolgreicher wissenschaftlicher Beweis zur
Erhärtung einer Auffassung, Ansicht, Meinung, Philosophie usw. geführt
worden;
- die Person, die etwas glaubt, ist auf dem entsprechenden Fachgebiet
nicht ausreichend beschlagen, um einen schlüssigen Beweis führen zu
können und vertraut deshalb einem Fachmann, den sie für kompetent und
folglich vertrauenswürdig hält. Es wird davon ausgegangen, dass der
Fachmann die erforderlichen Fachkenntnisse hat, um für die
Wahrhaftigkeit einer bestimmten fachlichen Aussage bürgen zu können.

Bei den Religionen und beim religiösen Glauben handelt es sich um die
erste Art von Glauben: es gibt (trotz verschiedentlicher Gottesbeweise
usw.) keine wissenschaftlichen Beweise für die Richtigkeit, und es gibt
keine Fachleute, die aufgrund ihrer wissenschaftlichen Kompetenz für
die Wahrhaftigkeit des Geglaubten bürgen könnten. Die religiösen
Autoritäten leiten ihrerseits ihre Kompetenz wieder vom Glauben ab,
also nicht von Wissen.
Was ist nun das Gegenteil von "glauben"? Dafür kann man mehrere
Definitionen finden:
- einmal ist es das Wissen, d. h. positiv Bescheid wissen über
Sachverhalte, für die objektive, mit Methoden der Wissenschaft
nachvollziehbare Beweise angeführt werden können;
- dann kann es das "Nicht glauben", also das Nicht-für-wahr-halten
bestimmter Darstellungen sein.

Diese beiden Formen haben eine Gemeinsamkeit: sie akzeptieren keine
"Wahrheiten", für die ein objektiver Beweis fehlt. Zweifel und
Forschung, also Nachdenken und Ergründen der Sachverhalte sind
kennzeichnend für ein Verhalten, das nicht auf "Glauben" aufbaut.
Glauben verleiht hingegen Sicherheit, da unerklärliche, oft
erschreckende Naturerscheinungen oder auch philosophische Gedankengänge
auf einfache und unkomplizierte Weise eine Erklärung finden. Glauben
erspart einem das Nachdenken, das Forschen, das Zweifeln, das
Ergründen.

Gedanken sind frei. Solange die Folgen des Denkens nicht die Freiheit
der anderen beeinträchtigen. Und Denken ist im Allgemeinen
ungefährlich, weil Nachdenken immer mit Zweifeln verbunden ist.

Gefährlich werden kann hingegen organisiertes Nicht-Denken. Und
Glauben, wenn es in organisierten Gemeinschaften erfolgt, kann als
organisiertes Nicht-Denken bezeichnet werden: angebliche Sachverhalte,
die aus jahrtausendealter Überlieferung stammen, als das menschliche
Wissen noch auf einem relativ primitiven Niveau stand (zumindest in den
Kreisen, aus denen diese Überlieferung stammt), werden als
unumstößliche Wahrheiten gepredigt. Wer diese Wahrheiten in Frage
stellt, also an ihnen zweifelt und sich anmaßt, darüber kritisch
nachzudenken, wird automatisch oder auch in offiziellen Verfahren aus
der Gemeinschaft ausgestoßen. Denken wird also systematisch verfolgt
und bestraft. Dafür gibt es in der Geschichte viele Beispiele in den
verschiedenen Religionen.

Glauben ist auch aus anderer Sicht gefährlich: der Gläubige ist fest
davon überzeugt, im Besitz der Wahrheit zu sein. Folglich sind alle
anderen, die diesen Glauben nicht teilen, für den Gläubigen in einem
bedauerlichen Zustand, sie kennen die Wahrheit nicht, sie erkennen die
Wahrheit nicht oder sie lehnen die Wahrheit ab. Aber diese Wahrheit ist
für den Gläubigen die allein Seligmachende.
Das Gefühl des Gläubigen gegenüber den Nichtgläubigen kann folglich
sein:
- Verachtung. Ich als Gläubiger gehöre einer auserwählten, erleuchteten
Gruppe an, die den Nichtgläubigen überlegen ist;
- Bedauern. Der Nichtgläubige befindet sich ja in einem bedauerlichen
Zustand der Unwissenheit, des Nichtverstehens, der geistigen
Finsternis;
- Mitleid und Erbarmen. Der arme Nichtgläubige ist unschuldigerweise in
diesem Zustand, man muss ihn zum wahren Glauben führen. Dies kann so
weit gehen, dass man ihn zu seinem Glück zwingt.

Diesem Gefühl gegenüber den Ungläubigen ist auf jeden Fall eines
gemeinsam: der Gläubige hält sich für den Hüter einer absoluten
Wahrheit, und je stärker sein Glaube ist, desto entschiedener werden
seine Gefühle gegenüber den Nichtgläubigen sein.

Es ist  nun leicht einzusehen und auch geschichtlich vielfach erwiesen,
dass das Denken, man gehöre einer Gruppe Auserwählter an, dem Frieden
nicht zuträglich ist. Die Gruppe kapselt sich im Allgemeinen von den
übrigen Menschen ab und ist sehr streitbar. Und da meistens der Einsatz
für den eigenen Glauben und allfällige damit verbundene Opfer ja zu
einer Belohnung im Himmel führen, ist es für Gläubige oft leicht, ihr
Hab und Gut, ja ihr Leben für ihre Glaubensgemeinschaft aufs Spiel zu
setzen.

Wenn der Glaube mit der Verachtung der Nichtgläubigen verbunden ist,
fühlt sich der Gläubige berechtigt, die Nichtgläubigen als minderwertig
zu behandeln und folglich zu bekämpfen und zu versuchen, sie
auszurotten. Diese Art von Glauben ist mit dem Rassengedanken sehr eng
verwandt. Vom überlegenen Glauben zur überlegenen Rasse ist der Schritt
nur klein.

Am wenigsten gefährlich erscheint die Form des Bedauerns, da es sich
hier immerhin um ein passives Verhalten handelt, das zwar eine
Absonderung beinhaltet, aber nicht mit moralischer oder körperlicher
Gewaltanwendung verbunden ist.

Das Gefühl des Mitleids und des Erbarmens scheint auf den ersten Blick
etwas Positives zu sein, verknüpft man doch damit im Allgemeinen den
Gedanken der Nächstenliebe und der Hilfsbereitschaft.
Aber auch in diesem Fall versteckt sich dahinter eine große Gefahr. Je
tiefer der Glaube des Gläubigen ist, desto stärker ist sein Verlangen,
diesen Glauben, den allein seligmachenden Glauben, allen anderen
Menschen mitzuteilen, zu erläutern, zu verkünden. Und da ja die
beklagenswerten Menschen, die im Zustand des Unglaubens sind, ewig
unglücklich werden, wenn sie in diesem Zustand beharren, muss jedes
Mittel recht sein, um sie dem rechten Glauben zuzuführen. Und was
"jedes Mittel" bedeutet, kann man sich anhand der geschichtlichen
Ereignisse der vergangenen Jahrhunderte, aber auch der jüngeren
Geschichte, bildhaft ausmalen.

Es muss also zumindest bezweifelt werden, ob Religionen und
Religionsgemeinschaften wirklich in der Lage sind, dauerhaft am Aufbau
des Friedens zwischen den Völkern mit unterschiedlichen religiösen und
weltanschaulichen Ausrichtungen beizutragen. Denn um zu einem wahren
Frieden zu kommen, muss das Denken und das Zweifeln gefördert werden,
nicht das Glauben, das zum Denken und Zweifeln in Widerspruch steht und
dies  zumindest behindert, wenn nicht gar verbietet.
Den besten Dienst am Frieden könnten die religiösen Gemeinschaften
dadurch leisten, dass sie ihre Selbstauflösung betreiben.


Bewerten
- +
Ansicht umschalten