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mehr als 1000 Beiträge seit 31.08.2000

Re: Ach wie schön, dass die "intellektuelle Elite" sich hier selbst feiern kann!

bierstuebl (bierstuebl@gmx.de) schrieb am 20. September 2001 11:24:

> Ich denke, dass hier eben die meisten Menschen überreagieren (und
> ich
> kann dafür im Moment noch durchaus Verständnis aufbringen), du hast
> dies bei dir ja auch eingeräumt. Natürlich hat das Ganze eine
> gewisse
> Ästhetik, auch die Dimension trägt hierzu einiges bei. Ich denke
> aber
> nicht, dass Künstler es sich leisten dürfen immer alles nur durch
> den
> Filter der Kunst zu betrachten, es gibt einfach Aspekte, die die
> Freiheit der Kunst (auch wenn es bieder klingt) einschränken. 

Doch, sie dürfen alles 'durch den Filter der Kunst betrachten', wie
auch ein Wissenschaftler alles durch den Filter der Wissenschaft
betrachten kann, aber deswegen ist nicht alles schon eine Allegorie der
Kunst oder der Wissenschaft - "Wir haben es bei dem Anschlag mit eine
wissenschaftlichen Hypothese betreffend amerikanischer Stahl-und
Betonkonstruktionen zu tun, die akribischer Vorbereitung und einer
sauberen Ausführung bedurften...". Auch wenn es schwerfällt, daran
festzuhalten: Intentionen lassen sich nicht einfach eliminieren. 


> Im
> Gegenteil, gerade Künstler waren doch schon immer diejenigen, die
> eigentlich versuchten, die Gesamtheit zu erfassen und dies in ihre
> Werke einfliessen zu lassen, auch wenn diese vordergründig nur
> einen
> kleinen Ausschnitt darstellten. 

Das ist eine Mythologie. Wo bleibt die dazu komplementäre Aufklärung? 

> Insofern kann ich diese Aussagen
> auf der Pressekonferenz nur als unüberlegt und als nicht
> differenziert
> genug betrachten. Klar muss man ihm eine Künstlersicht zubilligen,
> aber
> seine Sicht darf sich eben nicht nur auf diese eine beschränken und
> genau dies hat er versäumt deutlich zu machen. Da hilft auch die
> Lucifer-Kunstwerk-Aussage nichts, welche, soweit ich informiert
> bin, ja
> nun wirklich nur auf seiner eigenen Homepage nachträglich zitiert
> wird
> (Ich maße mir hier kein Urteil an, welches nun die richtigen Worte
> waren).

> Bierstuebl

Das ist wieder nur der demokratische Diskurs: "Ja ich habe A gesagt und
sage mit aller Festigkeit A! Aber ich könnte auch B sagen und es ist
wichtig auch B zu sagen." - und dann wird vielleicht Gerhard Schröder
zitiert, der ja auch nur ein Mensch mit einer eigenen Meinung ist. Die
öde Differenziertheit überflüssiger Ansichten, die uns weder eingehende
Inormation noch das Netz ihrer Schlussfolgerungen zu präsentieren
vermögen.

Interessanter als die Aufforderung an Stockhausen, differenziert zu
denken, ist vielleicht die Frage, warum eine Aussage von
K.H.Stockhausen für so problematisch gehalten wird, dass wir uns mit
ihr beschäftigen. Versuch einer Klärung:

Voraussetzungen: 

1.Stockhausen ist etabliert und nutzt die Öffentlichkeit, sowohl für
seine Kunst als auch für seine Ansichten.

2.Öffentliche Menschen besitzen pädagogische Pflichten. Sie sind
Vorbilder und Volkserzieher.

3. Künstlern wird i.a. eine Sonderrolle zugebilligt: Narrenfreiheit
oder 'Subjektivität', was ungefähr dasselbe ist. 

4. Künstler sind nicht nur Narren, sondern auch 'ganze Menschen', d.h.
die einzigen Menschen in unserer Gesellschaft, die sich vor der
Entfremdung in Sicherheit bringen konnten.

Schlussfolgerungen:

Wäre nur 3. wahr, so hätte es gar keinen Eklat gegeben, da aber drei
und 4. wahr sind, muss man wegen 4. auch wieder auf 2. zurückkommen.
Die Sonderrolle, des heiligen Narren in seinem Kunstkontext, ist nur
eine Rolle unter anderen. Da 4. gilt, sind wir bei einem Skandal
angelangt, was natürlich schön ist.

Die Folgen:

Durch Aussagen, wie jener Sockhausens kann nun endlich wieder die Kunst
problematisiert werden. Weckruf der demokratischen Öffentlichkeit von
BILD bis ZEIT. Stichwort - "Was darf Kunst?", "Was darf ein Künstler
machen/sagen?" Daran schließen sich die Meta-Diskurse über die Medien
an. 

Der Skandal wird nach 4 bis 6 Wochen vergessen sein. Die bekannten
Ansichten wurden ausgetauscht. Das Embargo gegen Stockhausen wird
wieder aufgehoben. Andere Volkserzieher als der Unfreiwillige selbst,
haben ihm eine Lektion erteilt. Darauf kam es an.

Das Ritual wird mit der nächsten prekären Aussage fortgesetzt.
Vielleicht diesmal wieder ein Philosoph - Sloterdijk? Ein
Schriftsteller - Walser? Oder ein Aktionskünstler - Flatz?


Tloen




 


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