Als gezwungenermaßen häufiger "Langstreckenfahrer" (A5/A7) fallen mir auf deutschen Autobahnen immer mehr Verhaltensweisen auf, die relativ unabhängig von hoher Geschwindigkeit die Hauptgefahrenquellen darstellen dürften.
- Überholende LKW, die ohne Rücksichtnahme auf den nachfolgenden (und z.T. bereits daneben befindlichen) Verkehr ausscheren und überholen, zumeist ohne zuvor zu blinken, höchstens während des Fahrmanövers selbst.
Oftmals scheint das Verkehrszeichen des Überholverbots für LKW geradezu das Startzeichen für derartige Aktionen zu sein...
- Elefantenhorden, d.h. dicht auffahrende LKW, die eben nicht den vorgeschriebenen Mindestabstand einhalten und selbst auf noch nicht verkürzten Auffahrten den einfädelnden Verkehr zum Stillstand bringen.
- Baustellendrängler-LKW, die inzwischen sogar auf kilometerlangen 60er-Abschnitten ihre 80-90km/h beibehalten wollen und auch schon mal sich an das Limit haltende PKW auf der 2m-Spur überholen.
- Spätspurwechsler, die trotzt freier linker Spur mit Minimalabstand kilometerlang hinter LKW herfahren und dann just, wenn sich ein anderer Verkehrsteilnehmer mit höherer Geschwindigkeit von hinten nähert, unmittelbar vor diesem rüberziehen und ihn mit LKW-Geschwindigkeit ausbremsen.
- Überholbremser, die, gerne in Tateinheit mit Spätspurwechsel, nach dem Ausscheren anstatt zu beschleunigen erstmal auf die Bremse treten und dann Orientierungsphase mit Rückfall hinter den zu überholenden Verkehr und kurzfristiger minimaler Beschleunigung mit max 100km/h auf der linken Spur überholen, gerne auch mal zwischenbremsend, wenn die "Wohlfühlgeschwindigkeit" minimal überschritten zu werden droht. Manchmal scheint der Begrenzer eingestellt zu sein, dass ja nicht darüber beschleunigt werden kann, selbst wenn dies für den Verkehrsfluß nötig wäre.
Dafür wird dann nach dem Wiedereingliedern auf der rechten Spur in größeren Lücken zwischen LKW gerne auch massiv beschleunigt, dass der Nachfolgeverkehr ja nicht dran vorbeikommt, bzw. man seine pole position vor der Schlange behält.
- Mittelspurschleicher, die mit 100km/h bei leerer rechter Spur stets mittig fahren, wohl in der Annahme, die rechte Spur sei exklusiv für LKW reserviert. Manche Exemplare nutzen die trotzdem, ziehen aber vor jeder Auffahrt, auch wenn kein auffahrendes Fahrzeug in Sicht ist, mal eben nach links rüber. Etliche scheinen eben den Unterschied zwischen Landstraße und Autobahn nicht zu kennen, bzw. haben vor letzterer Angst, können sie aber nicht umgehen.
- Fahrzeugnichtbeherrscher, die mit Dachbox, Fahrradträger, Anhänger oder Wohnwagen einmal im Jahr unterwegs sind und sich dann wundern, wenn die An- und Aufbauten bei >160km/h und scharfem Spurwechsel sich selbstständig machen oder das Gespann ausbricht.
- Geschäftsraser, die, bundesweit unterwegs von Termin zu Termin, mit >200km/h von Lücke zu Lücke hopsen, eben da, wo es gerade einen Tick schneller vorangeht, sich notfalls die Lücke auch erzwingen, und quasi mit Dauerlichthupe unterwegs sind. Zumeist schwarze Dienstwagen aus einheimischer Produktion mit gehobener Ausstattung..., gerne aber auch mal Handwerker im Transporter, bei dem das Gaspedal schon durch den Unterboden kommt.
- Ziellose, die trotz Navi erst 3m vor der Abfahrt merken, dass sie drei Spuren zu weit links fahren und mal eben raus wollen, egal, was rechts hinter ihnen los ist.
Gerne bremsen die vor Richtungsschildern auch mal auf 50km/h runter, um diese in Ruhe studieren zu können, bleiben aber zumeist unschlüssig, wohin sie denn eigentlich wollen, weshalb sie die Entscheidung auf die letzte Sekunde verschieben.
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Allgemein lässt sich sagen, dass vorausschauendes Fahren, gegenseitige Rücksichtnahme, Aufmerksamkeit und defensive Fahrweise arg auf dem Rückzug sind und die wenigen Verkehrsteilnehmer, die dies noch hochhalten eher benachteiligt werden und letztlich mit einer Pauschalregelung, die eben nicht situationsangemessen ist und die Probleme kaum tangiert, mit bestraft werden.
Interessant wäre es, mal festzustellen, wieviele der Autobahnunfälle mit LKW-Beteiligung zustande kamen und wieviele tatsächlich alleine auf zu hohe Geschwindigkeit von PKW zurückzuführen sind. Die Statistik ist da leider reichlich schwammig, da auch 120km/h bei einem plötzlich ausscherenden Brummi noch "unangepasst" sein können...
Eine strikte Kontrolle von gerade LKW-Überholverboten fände ich für die Sicherheit weitaus sinnvoller, als mit der Pauschalkeule Tempolimit zu kommen, dass ja selbst dann gilt (und kontrolliert wird), wenn kein weiterer Verkehrsteilnehmer in der Nähe ist.
Dazu eine situationsabhängige dynamische Geschwindigkeitsbegrenzung, wie sie auf immer mehr Strecken inzwischen installiert wird, was letztlich den Verkehrsfluß aufrechtzuerhalten hilft, gerade bei hohem Aufkommen, aber eben auch bei "freier Bahn" höhere Geschwindigkeiten zulässt. Und nicht zu vernachlässigen die Durchsetzung der Pflicht für automatische Bremssysteme bei LKW, um endlich mal das Auffahren aufs Stauende zu reduzieren - meiner Meinung nach ein Hauptschwerpunkt schwerer und schwerster Unfälle.
Überhaupt sollte mehr der Verkehrsfluß im Mittelpunkt der Verkehrssteuerung liegen, als ideologisch begründete Maßnahmen.
Aus den USA und dortigen Gesprächen mit Polizisten konnte ich die Erfahrung mitnehmen, dass es gerade bei hohem Verkehrsaufkommen nicht auf Teufel komm raus darum geht, Geschwindigkeitslimits einzuhalten, sondern primär, im Verkehr mitzuschwimmen, sich notfalls auch jenseits des Tempolimits einzureihen und mitzuschwimmen, vielmehr wird sogar das Stören des Verkehrsflusses geahndet. (Gilt natürlich nicht, wenn man das einzige Farzeug auf weiter Flur ist - dann sollte man sich tunlichst an die Begrenzung halten :o), selbst wenn die Cops hinter einem drängeln, um einen Verstoß zu provozieren... )
Dazu kommt die massive Baustellenschwemme, wo inzwischen pünktlich zu Ferienbeginn auf langen Abschnitten Tempolimit und Warnbaken eingerichtet werden, obwohl die Baumaßnahmen, wenn überhaupt - etliche werden auch einfach wieder abgebaut -, erst Monate später beginnen. Und eine Baustelle für 5-7 Jahre (vorerst) auf einer Länge von 40km (z.B. A7 Nörten-Hardenberg - Seesen) und fast durchgängig Tempo 60 hätte es in Zeiten vor PPP kaum gegeben, zumal die nächste dann schon 15km weiter kommt... Da muss man sich als Verkehrsplaner über Staus im Ferienverkehr nicht wundern... Man hat halt jahrzehntelang Sanierung und Infrastrukturerhalt schleifen lassen zugunsten von Prestigeprojekten und Bahnvorstandsgehältern...
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Wie man sieht, halte ich den inzwischen kaum noch zu verkraftenden Schwerverkehr für einen der Hauptgefahrenpunkte und auch ein Hauptärgernis. Wer häufiger auf den Autobahnen rund um Bad Hersfeld unterwegs ist, wird dies sicherlich nachvollziehen können, wenn bereits 50-20km vor der Abfahrt zum Logistikzentrum der Platz in der Schlange zur Laderampe erobert werden will...
Diesem Problem wird man aber kaum mit einem Tempo 120 auf Autobahnen Herr werden.
Entweder muss in naher Zukunft der LKW-Verkehr auch baulich vom Rest getrennt auf eigene (exklusive) Spuren verlagert werden oder endlich mal die Schiene für den Güterverkehr fitgemacht werden.
Stattdessen erleben wir aber, dass man ausgerechnet den Individualverkehr verdrängen will, wohl auch, um noch mehr "rollende Lager" auf die Autobahnen bringen zu können, ohne aber ein gangbares, v.a. integriertes (!), Verkehrskonzept zu bieten.
Dazu würde nämlich eine Planung über die Verbindung Bahnhof zu Bahnhof hinaus gehören, wo die Fahrt zum eigentlichen Ziel in 20km Entfernung nicht doppelt so lange (und länger) dauert wie die Langstrecke von 300km und fast genausoviel kostet, wofür man dann am Ende ohne echte Mobilität vor Ort dasteht.
Aber in der Fläche hat man ja einstige funktionierende Konzepte gerne eingestampft, z.B. Nahverkehr und Schienenbusse, mangels Fahrgastzahlen, wofür dann lieber leere Busse auf der Straße durch die Gegend kutschiert werden, die dann irgendwann durch AST ersetzt werden, natürlich mit 200-300% Zuschlag. Attraktivität sieht anders aus.
Mit der Verdrängung des Individualverkehrs aus den Städten, zumal ohne auch nur den Ansatz eines durchdachten P+R-Konzepts, ja nicht mal eines angemessenen, funktionierenden und durchgehend kapazitätsmäßig ausreichenden ÖPNV, (bei beidem könnte man z.B. von den Niederlanden oder sogar London, ja gar San Francisco, noch sehr viel lernen!) verschärft man die Probleme noch zusätzlich, wenn die letzten Reste von Einzelhandel verschwinden und infolge das LKW-Aufkommen zwecks Versandhandel noch zunimmt. So wird die Straße eben immer mehr zum primären Logistikelement, wo sich LKW, Transporter und Kuriere um den Platz streiten. Natürlich stört da dann der Individualverkehr nur noch, bringt er doch keinen "wirtschaftlichen Mehrwert" außer für die vielgescholtene Autoindustrie... *fp*