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  • crumar

mehr als 1000 Beiträge seit 08.03.2007

Virtue Signalling + Ersatzreligion - warum mich die "Debattenkultur" abnervt

Vorab: Ich besitze zur Zeit kein Auto oder Motorrad und fahre ÖPNV und Deutsche Bahn (Beileidsbekundungen bitte in die Kommentare) ;-) und schreibe hier nur, weil mir der Artikel auf die Nerven geht.

1. Um mit dem richtigen Sound für die Darstellung der modischen Tugendhaftigkeit des Autors anzufangen, ist natürlich alles Schuld der "CDU-, AfD- oder FDP-Männer", es liegt letztendlich alles an der "toxischen Männlichkeit".

Dass sein Ressentiment an den weiblichen Benutzern der Autobahn vorbeigehen muss ist Schnurz, auch wenn damit die Realität unter den Tisch fällt, wonach Frauen im Jahr 2014 eine Fahrleistung von 11.325 Kilometern und Männer eine von 12.211 hatten (1).
Der Anteil von Frauen an der Gesamtfahrleistung per PKW ist 48,1%.
Da funktioniert die "Gleichstellung" durchaus.
Frauen sind für den eigenen Anteil an der Klimaverschmutzung selbstverständlich ebenso verantwortlich zu machen.
Der Versuch, Frauen aus der Verantwortung zu nehmen und sie zu Kindern zu erklären ist reaktionär und nicht progressiv.

2. Das UBA ist mir schon öfters durch fragwürdige Studien, basierend auf noch fragwürdigeren Annahmen aufgefallen und die vorliegende Studie (2) bildet keine Ausnahme.

In der Studie (S. 12) wird zuerst einmal dargestellt:

In den Grenzen der Klimaberichterstattung betragen die Treibhausgasemissionen des Straßenverkehrs im Jahr 2018 rund 157,7 Millionen Tonnen CO 2 -Äquivalente bzw. 39,1 Millionen Tonnen CO 2 -Äquivalente für Fahrten von Pkw und LNfz auf deutschen Autobahnen. Ein generelles Tempolimit auf Bundesautobahnen wirkt nur auf den Teil der verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen, den Pkw und LNfz auf deutschen Autobahnen verursachen.

D.h. der Anteil der ausgestoßenen CO2-Äquivalente auf deutschen Autobahnen ist 24,8% bezogen auf die Emissionen des Straßenverkehrs im Jahr 2018.
Nicht betroffen: 75,2% des Straßenverkehrs.
Die versprochene Einsparung von 2,9 Millionen Tonnen CO2 durch ein Tempolimit wären demzufolge 1,8% bezogen auf den gesamten Straßenverkehr.
Das ist der Prozentsatz, bei dem man a. todsicher davon ausgehen kann, es handelt sich um reine Symbolpolitik und dient nur b. der Befriedigung religiöser Bedürfnisse.

Was mir beim UBA immer wieder aufstößt, sind Behauptungen in einem frühen Zeitpunkt der Studie (die Journalisten eventuell noch lesen), die dann einem späteren Teil faktisch revidiert werden (die Journalisten todsicher nicht mehr lesen.

So auf Seite 18:

Aufgrund der Zunahme des Kraftstoffverbrauches und damit auch der Treibhausgasemissionen von Pkw und LNfz bei zunehmender Geschwindigkeit im für Autobahnen relevanten Bereich über 80 km/h ergibt sich durch die Einführung eines Tempolimits eine Minderung der CO 2 - Emissionen pro gefahrenen Kilometer (siehe Abbildung 3). Zur Quantifizierung des Minderungspotentials ist es notwendig, die CO 2 -Emissionen in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit möglichst genau zu kennen.

Die Emissionen - wie aus Abb. 4 auf S. 20 hervorgeht - steigen nämlich nicht linear, sondern in einer quadratischen Funktion an. Bei einer Geschwindigkeit von ca. 107 km/h sind es 150 Gramm CO2, bei ca. 173 km/h werden bereits 300 Gramm CO2 pro Kilometer ausgestoßen.
Grundannahme ist also ein Verbrauch eines Fahrzeugs (sie unterscheiden nicht zwischen Benzin und Diesel), das ca. 6,3 Liter bei ca. 107 km/h und bei ca. 173 km/h ungefähr das Doppelte, nämlich 12,6 Liter auf 100 Kilometer verbraucht.
Ich überlasse euch die Einschätzung, wie zutreffend diese Annahmen sind.

Die Autoren räumen nun auf Seite 20 ein:

Bei sehr geringen Geschwindigkeiten (z. B. Stop-and-Go-Verkehr) steigen die CO 2 -Emissionen wieder an.

Nämlich auf 300 Gramm C02 pro Kilometer bei ca. 6-7 km/h, wie aus der Abb. 5 auf S. 21 hervorgeht. Das ist identisch zu einem Ausstoß bei ca. 173 km/h.
Die Beseitigung oder Vermeidung von Stop-and-Go-Verkehr hätte also den identischen Effekt, wie die Einführung eines Tempolimits.
Aus der gleichen Abbildung geht übrigens auch hervor, die CO2 Emissionen sind bei 30 km/h höher als bei 40-80 km/h. Wie sich auf dieser Grundlage durch "Tempo 30" Emissionen senken lassen sollen, bleibt das Geheimnis des UBA.

Was mich ein bisschen irritiert ist, auf Seite 22 wird gesetzt, die Fahrleistung wird zu 55,5% auf unlimitierter Autobahn erbracht - also ohne Baustellen und Geschwindigkeitsbeschränkungen.
Das ist aus meiner Erfahrung mit einem Auto (nur Autobahn und Landstraße) noch im Jahr 2017 ziemlich utopisch gewesen.

Auf S.15 werden in Abb. 1 tatsächliche Geschwindigkeit, einmal limitiert auf 120 km/h und einmal unlimitiert gezeigt.
Da keine konkreten Prozentzahlen genannt werden, kann nur man Pi mal Daumen aus der Grafik schätzen, dass ungefähr 38% der Autofahrer sich oberhalb des Rahmens von 120-130 km/h bewegten, verglichen mit ca. 15% im limitierten Bereich.

Davon ca. 15% im Rahmen von 130-140 km/h, ca. 10% im Rahmen von 140-150 km/h, 6% zwischen 150-160 km/h und ca. 8% fuhren auf der unlimitierten Strecke schneller als 160 km/h. Was anders herum heißt, 62% ändern ihre Fahrgeschwindigkeit ohnehin nicht - ob limitiert oder nicht und die echten Schnellfahrer sind eine kleine Minderheit.
Die versprochenen Einspareffekte sehe ich nicht.

3. Dass die ganzen "Raser" die Unfälle auf den Autobahnen verursachen, ist eher unwahrscheinlich
So musste der "Tagesspiegel" (3) vom 14.01.2020 nach dem üblichen Propagandatitel: "Strecken ohne Tempolimit fordern 70 Prozent der Todesopfer" im Text erstens einräumen:

"Allerdings liegt laut der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) der Anteil von Strecken ohne Geschwindigkeitsbegrenzung am gesamten Autobahnnetz bei 70 Prozent."

Zweitens:

Wie das Statistische Bundesamt weiter mitteilte war auf Abschnitten ohne Tempolimit eine unangepasste Geschwindigkeit bei 45 Prozent der Verkehrstoten eine Unfallursache (135 von 301 Unfalltote). Bei Streckenabschnitten mit Geschwindigkeitsbegrenzung spielte sie bei 50 Prozent der tödlich Verunglückten (61 von 123 Unfalltote) eine Rolle.

"Unangepasste Geschwindigkeit" kann - im Sinne des UBA - vorbildliche 110 km/h bei starkem Regenfall sein, während der Rest eher angemessene 80 km/h fährt.
Nicht eingehaltener Sicherheitsabstand, unaufmerksame, durch Fon oder Kinder abgelenkte Fahrer (und -innen), unsichere ältere Verkehrsteilnehmer, die 400 Meter vor dem zu überholenden LKW mit 105 km/h ohne Schulterblick auf die linke Spur ziehen.
Man kennt das alles.

Die Mühe, die sich gerade gegeben wird, einfach eine Ideologie durchzusetzen wäre m.E. besser in Maßnahmen investiert, die wirklich etwas bringen.
Aber wenn sich die Religiösen in etwas verbissen haben, dann bekommt man sie schwer wieder auf den Boden der Realität.

(1) https://www.mein-autolexikon.de/magazin/tipps-und-tricks-fuer-autofahrer/fahrleistung-bundesland-fahrzeugalter-geschlecht-alter.html
(2) https://www.umweltbundesamt.de/themen/verkehr-laerm/verkehrsplanung/tempolimit#tempolimit-innerorts
(3) https://www.tagesspiegel.de/politik/unfaelle-auf-deutschen-autobahnen-strecken-ohne-tempolimit-fordern-70-prozent-der-todesopfer/25432726.html

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