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  • the observer

mehr als 1000 Beiträge seit 18.07.2001

Ja, das ist die Frage: (2)

thelonious monk schrieb am 3. Januar 2007 17:17
> the observer schrieb am 3. Januar 2007 13:53

> > Diese Gefahr besteht, aber sie besteht nicht, weil wir jetzt über das
> > Wissen und die Methoden verfügen, sondern weil es uns... bisher nicht
> > gelungen ist, uns damit ernsthaft auf ethischer Ebene auseinanderzusetzen.
> > Jedem sollte klar sein, daß der
> > wissenschaftliche Fortschritt nicht aufzuhalten ist. Um Mißbrauch zu
> > verhindern, muß ein Konsens herbeingeführt werden, wie auch immer der
> > aussehen wird.

> Und warum haben sich die Menschen wohl nie damit auseinandergesetzt?
> Warum wollen wir uns denn mit den Folgen unserer Handlungen nicht
> beschäftigen? Was ist denn die Antwort drauf?

Die kann ich Dir leider nicht geben, denn ich kann nur für mich
sprechen. Vielleicht ists das Unerträgliche? Vielleicht auch die
Tatsache, daß der Mensch in großem Maß irrational handelt, trotz
Aufklärung...

> Der Schmerz vielleicht,
> den wir nicht ertragen? Schmerz ist Emotion und damit irrational,
> eine Diskussion in der du den Schmerz einführst ist gleich bäh und du
> bekommst die Ohrwatscheln langgezogen. Ich behaupte, niemand wird
> sich 'vernünftig' damit auseinandersetzten können, der nicht in seine
> eigene Dunkelheit gesehen hat. Und eben das tut niemand mehr in
> unserer aufgeklärten Welt, unser ganzes Sinnen und Trachten ist nach
> der schmerzlosen Welt, in der wir vor unseren ganzen dunkle Dingen
> geschützt und sicher sind.

Ich könnte Dir darauf beispielsweise antworten, daß es der Klerus in
der Vergangenheit stets verstanden hat, ein gewisses Maß des
Schmerzes und der Unerträglichkeit irdischer Leiden
aufrechtzuerhalten und zu hegen, denn die Idee der besseren Existenz
im Jenseits ist ja umso wirkungsvoller, je schlechter es den Menschen
im Diesseits geht. Je besser sie heute und hier leben, umso weniger
werden sie ihr körperliches Ende herbeisehnen. Der Schmerz ist
zentrales Element des Christentums (siehe auch: der Schmerzensmann).

> Und es ist richtig, der Fortschritt ist nicht aufzuhalten, aber ich
> kann doch trotzdem sagen, dass man die Opfer am Wegesrand nicht
> ignorieren soll, oder? Wir sind Menschen und sollen unsere Herzen
> nicht verhärten sondern offen bleiben für all den Schrecken, ohne die
> unsere Menschlichkeit über Bord ginge.

Zustimmung.

> > Der Vorwurf ist ebenso alt wie unhaltbar. Du wirfst Fragen der
> > Wissenschaft bzw. Technik mit ethischen Fragen wahllos durcheinander.
> > Nicht die Aufklärung ist schlecht, nicht die Wissenschaft und ihre
> > Erkenntnisse, nicht die Technik mußt Du verdammen - es sind die
> > Menschen, die hinter all dem stehen, mit ihren Wünschen, ihren
> > unterschiedlichsten Intentionen. Du machst den gleichen Fehler wie
> > viele andere: Wissenschaft ist im Unterschied zu den Religionen kein
> > Wegweiser in allen Lebenslagen, kein Ratgeber und kein Kodex
> > moralischer Wertvorstellungen. Es ist eine Erkenntnis- und
> > Wissensmethode; was die Menschen mit den wissenschaftlchen
> > Erkenntnissen damit anfangen, ist davon völlig unabhängig.

> Vermutlich ist die Ausrede nicht unwesentlich jünger und genauso
> unhaltbar. Wenn du eine Atombombe konstruierst, kannst du dich nicht
> nachher damit rausreden, dass du ja nur die Technik zur Verfügung
> gestellt hast und für die Folgen die  Anderen verantwortlich sind; so
> einfach ist es nicht.

Du nennst es eine Ausrede, und ich stelle eine klare Frage (die ich
schon wiederholt gestellt habe), direkt und unverblümt: Was ist eine
christliche Ethik wert, wenn sich Christen über sie hinwegsetzen und
eine Massenvernichtungswaffe bauen? Normen, die nicht eingehalten
werden, sind nicht verbindlich... Und so erweist sich plötzlich
(jetzt bin ich mal metaphorisch) die Keule, die Du Richtung
Aufklärung geworfen hast, als ein Bumerang. Wir können auch beliebig
weit in die Vergangenheit gehen; Kanone, Gewehr, Morgenstern - nimm,
welche Waffe Dir auch immer einfällt - stets wurde sie gebaut, sobald
man in der Lage war, wissenschaftlich/technische Erkenntnisse mit
Hilfe entwickelter Fertigkeiten umzusetzen. Der Unterschied zwischen
einer Streitaxt und einer Atombombe ist kleiner als Du annimmst, wenn
wir dem einfachen ethischen Grundsatz folgen, daß jedes Menschenleben
wertvoll ist und ein Recht auf Erhaltung hat (ein abzählendes und
quantitatives Vergleichen und gegenseitiges Aufrechnen von
Greueltaten finde ich abscheulich). Mit der Zahl der möglichen
Todesopfer steigt allerhöchstens der Grad der Verantwortung.

Aber bedenke, daß - ich wiederhole mich jetzt - hinter all dem
Menschen stehen, mit sicherlich teilweise hohen moralischen
Grundsätzen. Die Erbauer der Atombombe waren keine seelenlosen
Monster im Format eines Frankenstein; keine Menschen, die im
Arbeitsleben Jekyll und im Privaten Hyde sind. Sie handelten (davon
bin ich überzeugt) ausgehend von der damaligen Situation in der mehr
oder weniger festen Überzeugung, Gutes zu tun. (Irgendeine bekannte
Persönlichkeit hat mal sinngenmäß gesagt, das meiste Böse geschieht
aus der Absicht heraus, Gutes zu tun.) Daß sie dennoch einen solchen
Schritt taten, zeigt zumindest das eine: Daß es Situationen geben
kann, in denen sie Entscheidungen treffen müssen, die weitreiche
Folgen nach sich ziehen, und denen sie als Einzelpersonen (oder
-gruppen) nicht gewachsen sind, weil es eben in erster Linie
Naturwissenschaftler sind, die unmöglich im Alleingang bewältigen
können, woran eine ganze Gesellschaft beteiligt sein muß.

Woraus wir schließen, daß es wichtig ist, sich rechtzeitig auf solche
möglichen Situationen vorzubereiten und - jetzt schließe ich an einen
anderen Aspekt meines Vorpostings an - sich Regeln und Normen dafür
zu erarbeiten, daß solche Situationen eintreten. Daß sie eintreten,
ist nur eine Frage der Zeit. Es gab meines Wissens in jüngster
Vergangenheit Absprachen unter Wissenschaftlern, bestimmte
Forschungsergebnisse auf brisanten Gebieten nicht weiter zu
veröffentlichen, ein gemeinsam erarbeiteter Ehrenkodex gewissermaßen,
der eine Selbstverpflichtung beinhaltete. Das wird aber nur solange
funktionieren, solange nicht andere Forscher, die diese Bedenken
nicht hegen, das offenlegen, was bisher verborgen wurde. So oder so -
die Geminschaft der Menschen muß sich gemeinsam vertretbare Normen
erarbeiten. Es ist mir klar, daß das an beinahe Unmögliches grenzt,
aber gelingt kein Konsens, steht die Menschheit vor großen Problemen
angesichts des Wissens, was die Menschen sich bereits erarbeiteten,
denn im Kielwasser des Wissens schwimmt immer das Können, und die
Techniker folgen den Wissenschaftlern, und den Technikern folgen die
Produzenten und die Verkäufer.

Das gilt auch für das Gebiet, auf dem Du Dich (im Gegensatz zu mir)
gut auskennst. PND, Trisomie - auch hier stellen sich die gleichen
Probleme. Ein fachliches Urteil kann ich mir hier nicht erlauben.
Wenn Du mich aber fragst, ob alles, was technisch realisierbar ist,
auch getan werden sollte (darf), hätte ich ein klares Nein als
Antwort. Im Vordergrund muß immer eine ethisch klar vertretbare
Absicht stehen. Wenn die Chance besteht, künftige Leiden zu
verhindern, ohne anderen dadurch zusätzliche Leiden aufzuerlegen,
sollte man diese Chance nutzen. Wenn dagegen andere Beweggründe
vorherrschen (die genannten "Designerabsichten" oder wenn gar
Versicherungen daraus Kapital schlagen möchten), muß man das Machbare
verhindern; wenn nötig über Gesetze. Allerdings muß man denjenigen,
die unmittelbar daran (in diesem Fall: die Abtreibung) beteiligt sind
- zuallererst die Frau - einen gewissen Entscheidungsspielraum
zugestehen, innerhalb dessen sie sich bewegen und ihre Entscheidung
selbst treffen können.

> Oder die PND. Die Genetiker sagen, ein völlig harmloses
> Analyseinstrument, für die Folgen trage selbstverständlich sie keine
> Verantwortung, sondern das müssen  die Eltern verantwortlich zusammen
> mit den Medizinern entscheiden ect...

Siehe oben.

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