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  • Axel Farr

mehr als 1000 Beiträge seit 06.05.2002

Schubladendenken

Die Einteilung "Transatlantiker" versus "Eurasier" ist wieder typisches Schubladendenken, wie es gerne Leute anwenden die nach meiner Auffassung ein Problem mit der facettenreichen Wirklich dieser Welt haben...

Fangen wir vielleicht mal mit der Begriffsklärung an: Was ist denn ein Transatlantiker? Was ein Eurasier? Hat das jetzt nur etwas mit dem Ukraine-Krieg zu tun? Oder vielleicht auch mit der Angst vor Wirtschaftsspionage aus China? (keine Angst, ich hab' mir vorgenommen, in diesem Beitrag hauptsächlich Fragen zu stellen, die Antworten kann sich dann jeder selbst überlegen - ob er sie dann hier postet sei ihm dahingestellt)

Wenn ein Transatlantiker dem Sanktionsregime der USA in Bezug auf Russland folgt, ist dann Orban auch ein Transatlantiker? Da Ungarn ja in die EU eingebunden ist, bleibt ja nichts anderes übrig. Da es auch in Ungarn wirtschaftlich sehr mächtige Verflechtungen mit den USA gibt (der Anteil US-amerikanischen Kapitals an der ungarischen Wirtschaft dürfte ungleich höher sein als der entstprechende Anteil an der deutschen Wirtschaft) wäre es für Ungarn dann überhaupt in absehbarer Zeit möglich, "ins andere Lager" zu den "Eurasiern" zu wechseln?

Wenn Deutschland seit 2014 trotz Krim-Krise und Widerstand der USA gegen North Stream 2 weiter zielstrebig und ausgiebig Geschäfte mit Russland gemacht hat, war Deutschland dann bis zum 22.2.2024 fest in Hand der "Eurasier"? Wo sind die denn alle auf einmal hin verschwunden? Oder sind sie vielleicht gar nicht verschwunden, sind nur ihre "eurasischen" Geschäfts- und Kommunikationsparter auf Tauchstation gegangen?

Kleine Episode am Rande: Mein Heimatort hat (hatte? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht) eine Städte / Regionspartnerschaft mit einer Kleinstadt aus dem Moskauer Raum. Das hatte sich ergeben, weil einer unserer Bürgermeister eine Beziehung zu einer Russin hatte. Diese Städtepartnerschaft war 2022 leider schon etwas eingeschlafen, aber sie war noch aktiv, als der Überfall Russlands auf die Ukraine begann. In jenen Tagen gab es wohl noch einen Anruf bei dem unser Bürgermeister mit dem Bürgermeister der russischen Partnergemeinde sprechen konnte - sozusagen als Abschiedsgespräch. Es war beiden klar, dass durch die politischen Ereignisse die Städtepartnerschaft mindestens handlungsunfähig würde, und sie haben sich an diesem Tag sozusagen voneinander verabschieden müssen. Seit diesen Tagen gab es keine gegenseitigen Besuche mehr.

Mein Fazit zu den Folgen des Ukraine-Kriegs auf die Außen- und Wirtschaftspolitik Deutschlands: Weitermachen wie vor 2022 geht leider nicht. Deutschland ist zu sehr in die globale Weltwirtschaft verwoben, als dass ignoriert werden könnte, dass es massive Handelsbeschränkungen der USA gegen Russland gibt. Dass die Handelsbeziehungen mit China im Volumen deutlich abgeflacht sind und Deutschland gegenüber China vom Nettoexporteur zum Netto-Importeur geworden ist dürfte daran liegen, dass einerseits China selbst mit einer Wirtschaftsflaute kämpft, andererseits aber der chinesische Markt was Gerätschaften "Made in Germany" angeht mittlerweile auch ausreichend ausgestattet ist - das letzte "Tüpfelchen auf dem i" in Form der teuersten Belichtungstechnik für die Chipfertigung möchte man ihnen vielleicht auch als "Eurasier" nicht anvertrauen, auf dass dann nicht vielleicht doch China denkt, Taiwan wäre überflüssig...

Die wachsende Wirtschaft dieser Welt ist mittlerweile in andere Länder weitergezogen, z.B. die Maghreb-Staaten, einige Staaten Schwarzafrikas wie Kenia, Südafrika oder Nigeria. Hier steht uns eher die EU mit Sachen wie den Herkunftsnachweisen für im Ausland gefertigten Produkten im Weg, als dass wir da mit China konkurrieren könnten. Deutschland hat bisher noch gut von steuerzahlenden deutschen Firmen leben können, auch wenn die ihr Geld eigentlich im Ausland verdient haben - aber das hört jetzt auch langsam auf, Chinesen verdienen ihr Geld im Ausland halt auch, deren Firmen zahlen dann halt in China Steuern. Da wird ein von Wirtschaftstheoretikern mit Schubladendenken ausgetragener Konflikt auch nix mehr dran ändern...

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