an eye for an ear
am anfang war die wahrnehmung; es folgte die spra-
che; dann gab es bildzeichen & schließlich die phonetische schrift.
wir können dies als eine tendenz zur größeren abstraktion betrachten.
die fähigkeit, abstrakte symbole zu decodieren, setzt ein gesteigertes
'mustererkennunsvermögen' voraus, also die möglichkeit, 'information'
von 'störhintergrund' zu trennen. wenn wir uns vergangene epochen ver-
gegenwärtigen, so stellen wir uns zumeist 'heutige' menschen in einer
'früheren' kulisse vor. dies ist natürlich ein trugbild, da die 'ku-
lisse' ja das leben & damit auch das denken der menschen bestimmte.
also müssen wir davon ausgehen, daß unser denken also produkt unserer
lebenssituation von dem anderer epochen oder regionen eher sehr als
weniger verschieden ist. dies bezieht sich nicht nur auf das vorstel-
lungsvermögen son- dern auch auf die art & weise der sinneswahrnehmung
als solcher. wir können - und müssen - davon ausgehen, daß nicht nur
logisches denken, sondern auch etwa räumliches sehen ein produkt der
jeweils zur verfügung stehenden kommunikations- & produktionsmittel
sind.
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Ein interessanter Ansatz
Wenn wir das Verhalten der `progressiven Intellektuellen` in der heu-
tigen Zeit beobachten, können wir feststellen, daß sie uns wenn nicht
schwarz als weiß, so doch zumindest als grau verkaufen wollen. Dies
konnte während des Kriegs am Golf erkannt werden und wird noch deutli-
cher in der Berichterstattung etwa der TAZ oder anderer, progressiver
Blätter zur Libyen-Affäre. Was ich meine, ist, daß bestimmte Fakten
ignoriert, andere überbewertet und die `Realität` somit verfälscht
wiedergegeben wird. Wir erkennen eine Gleichschaltung mit den `bürger-
lichen` Meinungen, die ja einen Grund haben muß. Nun läßt sich sicher-
lich in einigen Fällen - Biermann etwa - ein Frontenwechsel, eine Auf-
gabe früherer Positionen vermuten. Das Gesamtphänomen wird damit aber
nicht erklärt. Wenn dieses neue Verhalten aber nicht eine intellektu-
elle Entscheidung zur Ursache hat - und dies kann weitgehend ausge-
schlossen werden, da die Leute ja weiterhin glauben, äußerst kritisch
& progressiv zu sein, müssen wir eine andere Ursache vermuten.
Eine Veränderung des Denkens und der individuellen Ansichten kann zum
Beispiel durch Bestechung, durch Zwang, durch Gehirnwäsche, durch Dro-
gen, durch persönliche Entschlüsse oder aber - so McLuhan - durch Me-
dien hervorgerufen werden. Wir können nun die meisten der genannten
Ursachen - zumindest für den Bereich der BRD - weitgehend ausschlie-
ßen, so daß die `Medien` im McLuhanschen Sinne übrigbleiben. Die Ver-
änderung des Denkens der sogenannten progressiven Akademiker & linken
Intellektuellen (Ausnahmen seien selbstverständlich gestattet) kann
also als Beweis für die Richtigkeit der These Marshal McLuhans gewer-
tet werden, wonach jedes beliebige Medium selbst - und nicht etwa al-
lein oder hauptsächlich sein Inhalt - das Bewußtsein der Menschen be-
stimmt.
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In der voralphabetischen Stammesgesellschaft lebte der Mensch weitge-
hend im `akustischen` Raum. Seine Orientierung und sein überleben in
diesem Raum hingen im wesentlichen von seiner Fähigkeit ab, seine Er-
fahrungen im Gehirn zu speichern und sich von Fall zu Fall möglichst
genau zu erinnern. Später entwickelten sich Bilder und Bildzeichen als
Unterstützung des Gedächtnisses. Aber erst mit der seriellen Speiche-
rung von Wissen in Manuskripten und Büchern wurde die Notwendigkeit,
Fakten im eigenen Gehirn aufzubewahren, mehr und mehr zurückgedrängt.
Der Mensch des 20sten Jahrhunderts kann auf ein gewaltiges, extern
gespeichertes Informationspotential zurückgreifen, so daß er sich
nicht mehr die Fakten, sondern lediglich die notwendigen Prozesse zum
Zugriff auf diese merken muß. Die elektronischen Medien haben nun die
Möglichkeiten der externen Speicherung erneut vergrößert.
Im Laufe dieser Entwicklung von der Stammesgesellschaft zur Jetztzeit
hat sich nun aber nicht nur das Informationspotential exponential ge-
steigert, sondern auch die Permanenz dieser Speicherung schrittweise
reduziert. Während die in Stein gemeißelten Inschriften in der Regel
Jahrtausende überdauern, sind Pergament und Papier wesentlich weniger
haltbar. Eine große Anzahl von Filmen aus den letzten 50 Jahren ist
bereits durch chemische Veränderungen des Materials völlig zerstört
und somit die darin gespeicherte Information unwiderruflich vernich-
tet. Elektronische Datenträger können durch Versehen oder Absicht in-
nerhalb von Sekunden gelöscht werden. Gleichzeitig wird die individu-
elle Möglichkeit, über das eigene Gedächnis korrigierend einzugreifen,
immer geringer. Die Reduktion der Allgemeinbildung, des internen Ge-
dächtnisses, geht Hand in Hand mit der Vergrößerung technischer Hilfs-
mittel zur Informationsspeicherung (McLuhan stellt dazu richtig fest,
daß jede Erweiterung ursprünglicher menschlicher Fähigkeiten durch
äußere Mittel - Medien - die originären Fähigkeiten abstumpft, `ampu-
tiert`).
Selbstzensur und Gleichschaltung
Die gerade bei Intellektuellen beobachtbare Tendenz zu Selbstzensur
und `Selbst-Gleichschaltung` - also Anpassung an und kritiklose über-
nahme von bestimmten Vorstellungen - kann ihre Ursache in der heutigen
Struktur des akademischen Bildungsbetriebs haben. McLuhan stellt fest,
daß jedes Medium, wenn es lange genug weiterentwickelt - `beschleu-
nigt`, `aufgeheizt` - wird, umkippt & seinen ursprünglichen Effekten
entgegengesetzte Wirkungen hervorruft. Hat das Buch, der massenver-
breitete Text zunächst zum Entstehen individualistischer Interpreta-
tionen und Meinungen geführt - indem nämlich jeder für sich, ohne die
durch einen Lehrer oder Professor `mitgelieferte` Sichtweise, Zugang
zum Inhalt der Texte suchen konnte - so scheint es heutzutage im uni-
versitären Betrieb eine Rückverwandlung in eine Art `heilige Schrift`
zu erleben. Wir können beobachten, daß Studenten mehr und mehr dazu
neigen, vorgegebene Texte, Sekundärliteratur, die `akademische Fach-
sprache` als unantastbare, ikonenhafte Werte zu betrachten, so daß
jedwelche Bearbeitung zu einem Konglomerat `wissenschaftlicher` Allge-
meinplätze verkommt anstelle der kritischen Auseinandersetzung mit
Inhalten und Positionen. Der aufklärerische `Austritt aus der selbst-
verschuldeten Unmündigkeit`(Kant) hat sich in sein Gegenteil - den
unreflektierten Eintritt in eine selbstgewählte Sphäre der Anpassung
an ein System von Vormeinungen, Vorurteilen - verwandelt.
edge, 28.05.'92
yours
selbiger