elklynx schrieb am 02.12.2024 11:22:
Ich hatte im Sommer mal in einer Doku einen Hinweis auf Studien gesehen (hab den nicht in wiss. Datenbanken nachverfolgt), dass Menschen, die Jersenia Pestis gut verkaften, häufiger mit Autoimmunerkrankungen (Allergien, Neurodermitis, Artritis, Myalgic Encephalomyelitis uvm.) zu kämpfen haben. Die antiken und mittelalterlichen Pestepidemien haben einerseits das Überleben von pestresitenten Varianten des Homo Sapiens begünstigt, die können dafür aber wegen anderer Krankheiten berufsunfähig werden.
Genau sowas.
Allerdings kann so eine Mutation auch unerkannte positive Nebenwirkungen haben, ich würde das also nicht überbewerten.
Was die bessere Krebsresistenz angeht, gibt es aber auf jeden Fall einen gewichtigen Nachteil: Die Mechanismen, die Mutationen reparieren, kosten Energie, die nicht für andere Zwecke zur Verfügung steht. Wer zu viel in Krebsverhinderung investiert, wird also etwas weniger Nachkommen haben und irgendwann aus dem Genpool verdrängt; es wird also nur genau so viel an Krebsverhinderung in die Spezies, wie dem Fortpflanzungserfolg förderlich ist, und außerhalb des verstrahlten Gebiets wird die Mutation eher ein Nachteil sein.
Heutzutage ist Sozialdarwinismus wieder en vogue. Dabei haben Sozialdarwinisten einen verkürzten (zu stark abstrahierten) Blick auf "survival of the fittest".
Sozialdarwinismus war immer schon Quatsch.
Wenn man den Begriff "fit" auf seinen Ursprung zurückführt, heißt er ja auch nicht "leistungsfähig", sondern "passend". Also das Überleben dessen, der am besten in sein ökologisches Umfeld eingepasst ist; dafür muss man nicht unbedingt besonders leistungsfähig sein, wie einem gerade die zart gebauten Insektenarten eindrücklich vor Augen führen, die können meist nicht viel, aber das tun sie in Massen, und solange genügend Individuen völlig ohne Leistungsfähigkeit und rein zufällig ihre Überlebensnische finden, überlebt die Art.
Der Sozialdarwinismus hingegen meint, alle Individuen einer Art müssten besonders leistungsfähig sein. Und das ist Quatsch; der Mensch, beispielsweise, hat ohne zivilisatorische Einflüsse eine Reproduktionszahl irgendwo bei 5, d.h. es müssen sich nur zwei von fünfen fortpflanzen, und darauf ist die ganze körperliche Leistungsfähigkeit ausgelegt: Die Unfruchtbaren und die Homosexuellen helfen ihren Geschwistern, deren Kinder großzuziehen, und ein gewisser Anteil "darf" durch Raubtiere, Parasiten, Krankheiten und Unfälle noch vor der Geschlechtsreife sterben, darauf ist unsere Genetik ausgelegt.
Was nicht heißt, dass unsere Kultur das akzeptieren muss! Aber kulturelle Einflüsse kann man halt nicht mehr mit Darwin begründen, und das ist der eigentliche Denkfehler im Sozialdarwinismus.
"Fittest" ist das jeweilige Individuum immer nur für eine sehr spezifische Überlebensnische und es ist selten so, dass Mutationen, die in einer Sicht einen Vorteil haben, ausschließlich Vorteile haben.
Und das ist der andere Denkfehler im Sozialdarwinismus.
Menschen sind fürs Überleben auf Kooperation angewiesen. Wenn man die Menschen züchten könnte und alle körperlich fit machen würde, wären die womöglich sozial nicht so gut - auch deshalb, weil Sozialkompetenz viel schwieriger zu messen und dementsprechend schwieriger zu züchten wäre.
Am Ende käme eine Rasse mit guter individueller Leistungsfähigkeit, aber als Gruppe schlechter Überlebenswahrscheinlichkeit heraus.
Es braucht eben auch die wenig Produktiven, damit die Kinder ein Umfeld kriegen, in dem sie gedeihen können. Und womöglich sogar die Faulpelze, die dummen Schöngeister, womöglich auch die Egoisten und Soziopathen, auch wenn ich keine Ahnung habe, was der evolutionäre Nutzen dieser Charakteristiken ist - aber wären sie nutzlos, hätten wir vermutlich keine Gene im Genpool, die solche Charakteristiken fördern.
Evolution kümmert sich halt nicht darum, dass wir miteinander und mit uns selber glücklich sind, sondern dass wir als Art überleben. Ist halt so, kann man sich drüber ärgern, aber nicht ändern.
Deswegen gibt es schlussendlich mehrgeschlechtliche Vermehrung, um die Überlebbarkeit der Art von unvorhbersehbaren, erst zukünftig auftretenden Gefahren zu erhöhen.
Ich vermute, es gibt noch weitere Vorteile geschlechtlicher Vermehrung.
Es gibt sie ja nicht nur in Ökosystemen, die sich ständig ändern, sondern auch in seit vielen, vielen Generationen stabilen Ökosystemen.
Und Arten, die sich ungeschlechtlich vermehren, tauschen oft (immer??) Gene auf anderen Wegen aus. Bakterien beispielsweise tauschen eifrig Genmaterial aus, sogar über Artgrenzen hinweg.