Lu.topia schrieb am 02.12.2024 22:25:
Guckstu schrieb am 01.12.2024 23:57:
Ich glaub nicht an den bärtigen alten Mann.
Ich auch nicht. Aber die Redewendung ist so schön und trifft ziemlich gut, was ich zu deinem Kommentar dachte und empfand.
Wenn du den Westen und Russland fragst, wollen die beide gar keinen Krieg, fühlen sich aber sehr dazu gezwungen, einen bis zum bitteren Ende zu führen (und zeigen dann wechselweitig mit den Fingern aufeinander).
Ähm... die Russen lügen da, das ist dir doch klar, oder?
Die wollten diesen Krieg.
Nicht als Ideallösung, aber lieber Krieg als ein Abgleiten der Ukraine aus dem eigenen Machtbereicht, das war die Logik.Moment.
:)
Sie fühlen sich gezwungen.
Nicht: Sie werden gezwungen.
Na ja, in dem Sinne ist keine Regierung zu egal was gezwungen, da macht der Begriff keinen Sinn.
Nur sind Atomwaffen und die Folgen eines Einsatzes nochmal eine GANZ andere Größenordnung. Solange man nicht anfängt, Russland aufzulösen, sieht Putin sich eher gezwungen, auf den Einsatz zu VERZICHTEN. Er hat dann ja noch was zu verlieren, und ein Atomkrieg wäre auch für ihn der maximale Verlust, persönlich und für die "Größe Russlands", die ihm ebenfalls wichtig ist.
Das sehe ich ganz ähnlich, nur habe ich den vagen Verdacht, Putins Alter könnte seine Hemmschwellen etwas herabsetzen. Menschen fühlen sich ja aus den drolligsten Gründen gezwungen, Dinge zu tun, die sie eigentlich gar nicht tun wollen.
Das wäre durchaus denkbar, ja.
Andererseits: Putins Vorstellung, dass Russland unbedingt wieder zu Größe geführt werden müsse, scheint echt zu sein. Das zieht sich durch sein ganzes innenpolitisches Handeln durch, ich habe noch keine einzige Aktion oder Aussage gesehen, die danach klingt, als würde er da irgendwelche bedingten Ausnahmen machen oder sonstwie herumwieseln. In allen anderen Dingen ja, in dieser Angelegenheit nicht.
Und das führt mich zur Vermutung, dass Putin Russland nicht in einem Atomkrieg würde vernichten wollen.
Er hat auch nicht wie Hitler so Dinge geäußert, dass Russland nur in Größe bestehen würde und es nicht verdienen würde, eine Niederlage zu überleben. So wie ein gewisser schnauzbärtiger Herr.
Hitlers Vision war ja ein Herrschervolk.
Putins Vision ist ein Volk mit Leidensbereitschaft; man könnte ihm diese Situation akzeptabel machen, indem man ihn darauf hinweist, dass eine Niederlage temporär ist und dass das russische Volk durch seine Leidensbereitschaft sicherlich in der Lage sei, sich wieder zu erheben. Und sei es erst nach dem Ende seiner Herrschaft. Es wäre jedenfalls klug, solche Ideen in Putins Umfeld zu streuen, und wer weiß, vielleicht geschieht dies gerade.
Und gerade Putin wäre in der Lage, das zu akzeptieren. Er war in Deutschland, er kann Deutsch, er dürfte die Geschichte des Wirtschaftswunders kennen und wissen, dass so ein phönixhafter Aufstieg absolut nicht unmöglich ist; dass Russland dafür überhaupt keine guten Voraussetzungen mitbringt, muss man ja nicht hervorheben, und obendrein hatte Deutschland eigentlich auch nur in der Rückschau Voraussetzungen dafür, vor der Währungsreform hat wirklich niemand geglaubt, dass die BRD sich derart rasch vom Krieg erholen könne.
Ich hab ja immer das sw-Foto aus dem Lesebuch 3. Klasse zur einer Erzählung über Hiroshima vor Augen, wenn ich derzeit die diversen Äußerungen diverser Politiker und "Experten" wahrnehme. Ein menschlicher Schatten auf der Treppe eines Hauseinganges. Bildunterschrift: Hier saß eben noch ein Mensch.
Ja, das ist Krieg.
Hast du mal gesehen, wie Leute aussehen, die eine thermobarische Waffe abgekriegt haben?
Oder Napalm?
Oder Granatsplitter?
Bei Krieg geht's um Zerstörung, Leid und Tod. Als Zwangsmittel, um die Gegenseite in die Unterwerfung zu zwingen.
Und wer das abwehren will, muss ebenfalls Krieg führen.Sterben muss er, irgendwann, wie jeder Mensch. Für alles andere gibt es jederzeit zahlreiche alternative Möglichkeiten für allerhand Tun oder Lassen. Krieg führen ist dabei eine der mit Abstand schlechtesten, die man wählen kann.
Sicher. Wenn man denn die Wahl hat, sollte man das Kriegführen bleibenlassen.
Aber es heißt halt auch: Es kann der Beste nicht in Frieden leben, wenn's dem bösen Nachbarn nicht gefällt.
Die Bildgeschichte, aus der das stammt, befasst sich nur mit Nachbarschaftsintrigen, aber der Spruch gilt für Staaten und Kriege 1:1.
Und die Ukraine hatte und hat nur die Wahl zwischen Kapitulation und Krieg.
Und dann erzählst du mir lauter Argumente, warum sich irgendwer zum Krieg gezwungen fühlen sollte. Klingt irgendwie, als wölltest du mir verkaufen, das eine gewaltsame Sterben sei besser, als das andere.
Hm... nein.
Nicht der Sterbeprozess an sich ist der Unterschied, der ist in allen Szenarien Scheiße.
Es ist der Verlust an Lebenszeit und Lebensqualität. Im Krieg horrend, bei Kapitulation noch schlimmer.
Rechne mal durch. Allein schon, dass die Ukrainer mit Westanbindung eine um 10 Jahre höhere Lebenserwartung haben und bei Kapitulation sogar eine sinkende, reicht aus, die Kriegsopfer zu überkompensieren.
Das ist natürlich fiese Gesamtstatistik ohne Rücksicht auf die Situaton des Einzelnen. Aber wenn man Szenarien von staatlichen Entscheidungen durchdenkt und bei keiner Variante geht es ohne schreckliche Opfer ab, dann bleibt nur die Statistik als Entscheidungshilfe.
Und dann läuft es hinaus auf:
- Ohne Unterstützung Dritter Kapitulation, weil Widerstand nur noch mehr Opfer fordert.
- Mit ausreichend Unterstützung Dritter ganz klar Widerstand. Das wird hart, aber weniger schlimm.
- Mit halbherziger Unterstützung - keine klare Entscheidung, man wird erst hinterher wissen, welche Entscheidung die richtige gewesen wäre. Konnte man die Russen abwehren, war die Enscheidung für den Widerstand richtig, konnte man es nicht, war sie falsch. (Es ist ja immer noch offen, ob die Russen das gewinnen oder nicht. Momentan sieht es nicht so doll aus, aber es ist immer noch nicht entschieden, wenn der Westen die Unterstützung nochmal hochfährt, ist der partielle russische Vormarsch durchaus aufzuhalten.)